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Bonbontag

Bonbontag

Titel: Bonbontag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Nummi
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halben Flur aus, es bestand keine Chance, grußlos an ihr vorbeizukommen. Paula nickte schwach, lächelte kaum.
    Das war ein Fehler.
    »Aber Paula«, rief Karoliina aus, wurde ernst, nahm einen ehrlich besorgten Gesichtsausdruck an. »Ist alles in Ordnung mit dir? Hoffentlich ...«
    Paula versuchte zu gestikulieren wie kurz zuvor im Konferenzraum, aber jetzt hatte sie keinen Erklärungszettel parat, der ihr helfen konnte, Karoliina begriff nicht, was sie meinte. Rasch variierte sie daher ihre Gebärden, deutete auf ihren Mund und erhielt dabei die Gelegenheit, die Schokoladenpampe, die überall klebte, herunterzuschlucken.
    »Ja, iss nur in Ruhe deine kleine Mahlzeit«, lachte Karoliina, war schon fast an Paula vorbei, stellte sich ihr aber doch noch einmal in den Weg. Sie konnte sich die Frage nicht verkneifen.
    »Wie geht es deiner Tochter ... Mira?«
    Es klang nach einer Anschuldigung. Paula schluckte, zuerst durchlief sie eine kalte, dann eine brennend heiße Welle, die innerhalb einer Sekunde alles andere hinwegspülte.
    Was geht dich das an?, wäre ihr beinahe entfahren, sie konnte es gerade noch verhindern, umändern, aber um die Flut zu stoppen, war es zu spät.
    »Sie heißt Mirja, und es geht ihr so richtig verdammt gut!«, schrie sie mit heller, wütender Stimme.
    Lange hörte sie ihre Worte nachhallen, auch dann noch, als sie schon längst das Gebäude verlassen hatte.
    Aber noch bevor der Hall sie erreichte, spürte sie, wie sich vor dem Konferenzraum die Köpfe nach ihr umdrehten.
    »Und ich komme gerade vom Hals-Nasen-Ohren-Arzt ...«, fing Karoliina an.
    Paula drehte sich um und begegnete Laaksos fragendem Blick, sie sah, dass es in seinem Kopf bereits arbeitete.
    »Die wirken übrigens total gut, diese Pastillen«, unterbrach sie und ging mit übertriebener Kaubewegung an Karoliina vorbei zum Lift. »Mir ist ganz schwindlig, ich muss heim, neununddreißig Grad Fieber ... Nein ... gleich ist meine Stimme wieder weg ... Ich werde mich zu Hause einfach ein bisschen ausruhen ... Tschüs dann.«
    Der Aufzug kam genau rechtzeitig, Paula trat ein, drehte sich zu ihren Kollegen um, die offenbar inzwischen alle aus dem Konferenzraum auf den Gang gekommen waren. Und sie anschauten.
    Jetzt sah sie auch Kaija wieder, ganz am Rand der Gruppe. Ihr war, als hätte die Kollegin Tränen in den Augen.
    Dann, während die Aufzugtür sich schloss, brach Paula in Lachen aus.
6
    Gewiss ist der Erwachsene neben dem Kind oft selbst wie ein Kind, und das Hemd ist ihm näher als der Rock.
    Mein Fazit muss zwangsläufig grob ausfallen. Kinderschutz ist keine Win-Win-Maßnahme, aus der alle mit Sicherheit als Sieger hervorgehen. Kinderschutz ist nicht einmal ein Nullsummenspiel, bei dem wenigstens jeder ein faires Stück vom Kuchen abbekommt. Ein Kind kann man nicht aufteilen. Darum verlieren in den meisten Fällen alle.
     
    Den Studierenden die Illusionen nehmen? Katri strich durch, was sie geschrieben hatte.
    So dachte sie nicht, nicht ganz so.
    Einem Arzt ist klar, dass ein Menschenleben nicht endlos dauert. Die Sozialtante wiederum weiß, dass es nicht vollkommen ist.
    Man musste in der Lage sein und sich trauen, von zwei schlechten Alternativen die bessere zu wählen. Man musste versuchen, die richtige zu erwischen.
    Es kam zu Beschädigungen, und es kam zu Verlusten. Aber das Leben ging weiter, Pflaster und Medikamente waren vorhanden.
    Es gibt ein Leben inmitten von Verletzungen, trotz aller Wunden.
    Vor vier Jahren hatte sie einen Fehler gemacht, einen Denkfehler.
    Ich hatte Angst zu fragen ...
    Das hatte sie geschrieben. Und dann durchgestrichen.
    Katri schrieb über das Durchgestrichene noch einmal dasselbe.
    Es ist mir peinlich zuzugeben, dass ich Angst hatte, zu fragen: Wie geht es dem Jungen, den ich euch gebracht habe?
    Sie hatte die Mutter gesehen, durcheinander, geschlagen. Sie hatte die Mutter am Telefon toben gehört. War bei dem Termin gewesen, zu dem die Mutter nicht kam.
    Ihr werdet den Jungen doch nicht dieser Mutter zurückgeben, hatte sie gedacht. Zwingt den Jungen nicht, die gleiche Enttäuschung noch einmal zu erleben.
    Der Junge war seiner Mutter zurückgegeben worden. Die Mutter hatte ihre Angelegenheiten in Ordnung gebracht. Das Leben war weitergegangen.
    Katri hatte Unrecht gehabt.
    Die Gefühle im Griff. So hatte sie zu dem Schriftsteller gesagt.
    Mit Gefühlen konnte man sich in seiner Freizeit beschäftigen. Es war nicht ihre Aufgabe, den unsichtbaren Jungenzu lieben. Den Jungen zu lieben wäre

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