Bondage (German Edition)
aufgefallen, dass ich auch die Geräusche aus den parallel verlaufenden Gängen höre. Es scheint so, als sei ich in einem komplexen Gangsystem auf mehreren Ebenen unterwegs, das schneckenartig angeordnet ist, denn die Biegungen werden immer kürzer und die Winkel immer enger – und es geht mal bergab, mal bergauf. Dabei finde ich immer wieder Abzweigungen nach links oder rechts, die teilweise weiter nach unten oder oben zu führen scheinen. Natürlich bleibe ich dennoch vorsichtig.
Nach vier Stunden Fußmarsch bin ich so stark geschwitzt, dass ich Pause machen muss. Wie durch einen Zufall finde ich eine umgestürzte Stele mitten im Gang, auf die ich mich setze. Kaum sitze ich, spüre ich meine Erschöpfung und lehne den Kopf nach hinten gegen die Wand, während ich seufze. Auf der anderen Seite regt sich was, und ich verharre stumm, wage kaum, zu atmen. Es scharrt und dann höre ich ein gedämpftes Flüstern.
„Chef“, flüstert die raue Stimme.
„Mhm?“, höre ich Carlos brummen. Es ist Carlos’ Stimme, da bin ich ganz sicher. Seine Tonlage ist für mich unverkennbar, schließlich habe ich lang genug mit ihm zusammengearbeitet – und mindestens genauso intensiv von ihm geträumt, auch wenns nur Albträume waren. Auf der anderen Seite der Steinwand, die vermutlich dünn wie ein Stück Karton ist, da man mich auf der anderen Seite hören kann, wird das Scharren und Schaben lauter. Es klingt, als würden Füße aufstehen und zur Wand schleichen, wo sich Ohren dagegenpressen.
„Mendelssohn ist da drüben“, mutmaßt eine Stimme, die ich noch nicht kenne. Shit! Wenn ich jetzt aufstehe und flüchte, hören sie mich garantiert und wissen, dass sie recht haben.
Ein weiteres lautes Scharren und Rasseln zu meiner Linken lässt mich endgültig erstarren. Dieses Geräusch kenne ich noch nicht! Das Rasseln klingt wie das Scheppern der Schwanzteile einer Kobra, eher etwas dunkler und rauer. Dafür wird der Gang von links düsterer, kein Licht fällt mehr durch ihn zu mir. Langsam und vorsichtig stehe ich auf, darauf bedacht, keinen Lärm zu machen, der mich verraten könnte, und presse mich in eine schmale Nische direkt gegenüber meiner bisherigen Sitzposition in der Wand.
Warum wird es so dunkel??? Der Gang ist an dieser Stelle knappe drei Meter hoch und breit, und alle zehn Meter ist eine brennende Fackel angebracht, die mir den Weg erleuchtet, und wahrscheinlich für alle Ewigkeit brennt oder so. Die Schwärze von rechts jedoch schluckt das Licht in sich, und das Scharren wird lauter, das Rasseln bedrohlicher und vor allem kommt irgendetwas näher!!! Verdammt, mir bleibt nur, zu hoffen, dass das Etwas nicht zu mir läuft oder mich übersieht oder sonst was. Ein kurzer Blick in den Gang verrät mir, dass das nicht der Fall sein wird, denn die schwarzen Augen des drei Meter großen und breiten Skarabäus, der direkt vor mir im Gang steht und seine ... Fänge??? ... Kiefer??? ... mahlen lässt, haben mich erkannt. Er scheint zu lächeln, vermutlich freut er sich, dass er mal was anderes zu fressen kriegt außer Sand – oder was Käfer normalerweise so fressen. Carlos hin oder her, ich nehme die Beine in die Hand und laufe so schnell ich kann den Gang zurück, stolpere, falle, rappele mich wieder auf, nicht ohne einen kurzen Blick über meine Schulter geworfen und dabei festgestellt zu haben, dass dieses Monster mitten durch die dünne Wand, an der ich zuvor gelehnt hatte, gebrochen ist und nunmehr zur Hälfte im Gang nebenan steht, wo ich Carlos zuvor gehört habe, von wo jetzt auch Schreckens- und Schmerzensschreie zu hören sind – und Schüsse. Es scheint so, als würden die allerdings dem Skarabäus nicht wirklich schaden, jedenfalls bewegt sich dieser ungehindert weiter nach vorne in den Nachbargang, während die Mauer dieser Übermacht nichts entgegenzusetzen hat und einfach einstürzt. Ich lasse mich davon nicht stören, sondern laufe weiter und halte erst wieder an, bis ich nichts mehr höre außer meinem eigenen Atem.
Ich bin völlig ahnungslos, wo ich mich zurzeit befinde, weiß nur, dass es ganz bestimmt nicht der Weg ist, den ich zuvor entlang gekommen bin, und dass dieser Saal, in dem ich gerade stehe, auch nicht der Saal mit den Statuen ist. Er kann es nicht sein, denn dieser Saal ist wesentlich größer und prunkvoller ausgestattet als der zuvor, und vor allem waren in dem anderen Saal keine Menschen. Ich bemerke die Menschen erst, als mich einer von ihnen, ein großer,
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