Bone 02 - Das Ende des Himmels
eingesetzt hatte, für ein Krisenbaby. Er wollte seine Begleiter warnen, wollte sprechen, stellte aber fest, dass er am Ende seiner Kräfte war.
Stolperzunge trug ihn hinter Jagadamba durch die furchteinflößende Dunkelheit. Das Licht ihrer Taschenlampe fiel immer wieder auf die Fleischklumpen, die einst Bürger gewesen waren. Hiresh versuchte sich vorzustellen, wie viele den Platz übersäten, und war dankbar, dass der Lichtkegel nicht weiter reichte. Die meisten Menschen waren ins Untergeschoss entkommen, doch hier, in der Nähe der Ausgänge, hatten sich die Pechvögel gesammelt, wie die Verwehungen von Blütenblättern in den Parks seiner Kindheit.
Er wollte wissen, woran sie gestorben waren, doch wieder war nur eine erschreckende Leere die Antwort. Wie konnte es sein, dass das Dach hier inaktiv war? Er war mit dem Glauben aufgewachsen, dass Sie die Göttin war, eine Vorstellung, über die er nur gelacht hatte, wenn Vater für einen Moment nicht auf ihn aufgepasst hatte. Seiner Mutter hatte er mit seinem Gelächter oft genug Schmerz zugefügt. Doch ohne die Göttin, die ihm sonst jede Frage beantwortete, die für ihn übersetzte, die sich für ihn erinnerte , war er kaum mehr als ein Wilder. Ein Blinder, der sich durch ein Labyrinth aus Glasscherben tastete.
Ihm wurde bewusst, dass er zwischen den Schmerzschüben betete: »Vergib mir, Große Mutter. Lass mich nicht im Stich. Vergib mir, Große Mutter …«
Jagadamba, die genauso wie er die Leere spüren musste, lief zielstrebig durch die Dunkelheit, ohne einen verwirrten oder ängstlichen Eindruck zu machen. Sie summte leise vor sich hin und schien sich inmitten von Tod und Verderben sogar glücklich zu fühlen.
Wenigstens hatte jemand seinen Arm geschient. Er wünschte sich nur, man hätte dafür ein Stück Holz und nicht den Knochen eines toten Aliens benutzt. Das linderte den Schmerz, den ihm die Bewegungen verursachten, aber jedes Mal, wenn er daraufblickte, stellte er sich das Wesen vor, dem dieser Knochen gehört haben musste, ein furchterregendes, hungriges Monster.
Endlich gab Jagadamba ihnen ein Zeichen, dass sie Rast machen wollten. Sie zerrte die Männer in eine leichenfreie Nische und teilte Portionen aus feuchtem Reis aus, nicht mehr als eine Handvoll. Alle drei zitterten vor Kälte und drängten sich dicht um die warme Taschenlampe. Außerhalb ihres kleinen Kreises war nur das Tropfen einer Flüssigkeit zu hören.
Schleim , dachte Hiresh.
Die anderen wirkten erschöpft. Er hoffte, dass sie sich bald schlafen legten. Dann – falls er es schaffte, auf eigenen Beinen zu stehen, ohne zu schreien – konnte er flüchten und sich zwischen den Leichen auf dem Boden verstecken, bis auch er zu einer geworden war. Die Wärter würden ihn irgendwann finden und glauben, dass er bis zum Tod seine Pflicht erfüllt hatte.
»Von einem Wilden getötet«, würden sie sich zuflüstern. Und dann würden sie sich um Tarini kümmern müssen . Dann wären Hireshs einzigen zwei Freunde in dieser Welt endlich in Sicherheit.
Jagadamba legte sich schlafen, und er gab vor, das Gleiche zu tun. Als Stolperzunge allein war, zog er etwas unter seinem Gewand hervor und führte es zum Mund. Dann kaute er langsam, legte den Kopf in den Nacken, die Augen halb geschlossen, während eine dunkle Flüssigkeit über sein Kinn lief. Hiresh wandte sich ab, weil er es nicht länger mit ansehen konnte. Ein Wilder ist und bleibt ein Wilder , dachte er. Doch er wollte sich dadurch nicht von seinem Entschluss abbringen lassen.
Schließlich seufzte sein Freund zufrieden und legte sich neben der alten Frau auf den Boden. Kurz darauf atmete auch er tief und gleichmäßig.
Jetzt , dachte Hiresh.
Es war nicht leicht, sich mit einem geschwächten Körper zu erheben, wenn man nur einen Arm benutzen konnte und der andere die Quelle furchtbarer Schmerzen war, die sich bei jeder zufälligen Berührung verstärkten. Mit den Beinen drückte er sich gegen die Wand und arbeitete sich langsam nach oben. Bei jedem Ruck biss er die Zähne zusammen und widerstand dem Drang zu schreien.
»Was ist mit deinem Racheplan?«, fragte der alte Hiresh irgendwo tief in ihm. »Dein Vater wird jetzt ungeschoren davonkommen und kann mit seinen kräftigen Muskeln flanieren. Um ein neues dunkles Zeitalter vorzubereiten, während Mutter verhungert.« Das waren gute Fragen, über die er nachdenken musste, wenn er in der furchterregenden Dunkelheit verschwunden war.
Stärke. Das war es, worum es letztlich ging. Er
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