Bonita Avenue (German Edition)
beide sportlich. Und auch sportlich von Statur.»
Die Wahrheit war, dass sie sich überhaupt nicht ähnlich sahen. Sigerius war vom Typ her dunkel, hatte Augen wie abgekühlter Kaffee und wirkte zigeunerhaft, fast finster. Er hatte einen Bartwuchs, der Evolutionsbiologen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Joni hingegen war hellhäutig und blond, schmetterlingshaft, ihr Gesicht war so glatt und symmetrisch, dass Sigerius unmöglich etwas damit zu tun haben konnte. Trotzdem gab es in Aarons Augen einen gemeinsamen Nenner, ihre Tatkraft, Vater und Tochter hatten denselben Drang, Dinge anzupacken, Zweifel und Trödelei machten sie fuchsteufelswild, sie kapierten nicht, dass man den Kopf hängen lassen konnte, vor allem dann nicht, wenn jemand anders – zum Beispiel er – es tat. Genau wie Sigerius war Joni schlau, entschlossen, unternehmungslustig. Vielleicht steckte das ja in den Genen.
«Also weil ich nicht dick bin, meinst du, Siem ist mein leiblicher Vater?»
Eigentlich, erst jetzt wurde ihm das klar, hatte er über diese Frage nie nachgedacht, so wenig Anlass hatte es gegeben, auch nur irgendetwas zu vermuten. «Ja», sagte er. «Nein … Auch die Art, wie ihr beide miteinander umgeht. Du und Siem, ihr seid ein Herz und eine Seele, das merkt man schon nach zehn Minuten. Janis ist ein Mutterkind. Du kommst mehr nach deinem Vater.»
«Aber Janis und ich sind echte Schwestern. Das hat also nichts zu sagen.»
«Nun spuck’s schon aus.»
«Du meinst also, es ist Siem?»
«Ja, das meine ich, ja.»
«Falsch!», rief sie und lachte schallend, trat gegen abgestorbene Buchenzweige und vermoderte Laubreste, als verdampfte der Ernst ihres Geständnisses augenblicklich, weil er danebenlag. Sie sagte es nicht, aber aus ihrer merkwürdigen Erregung ging hervor, dass sie zufrieden darüber war, dass er auf Sigerius getippt hatte, ja er unterstellte ihr sogar, dass sie ihn am liebsten in seinem Irrglauben belassen hätte. Und er musste sich eingestehen, dass Enttäuschung in ihm hochstieg, für ihn war es eine kalte Dusche, dass keine Gene im Spiel waren, aber das sagte er natürlich ihr wiederum nicht. Vielleicht dachte Joni ja genauso darüber, denn noch ehe sie zurück in ihrem feuchten Bungalow waren, schlug ihre ausgelassene Stimmung in eine Schweigsamkeit um, die er bisher an ihr nicht kannte.
Während er auf dem Zweiplattenherd wortlos Kakao aufwärmte und Joni mit einer alten Klatschzeitschrift auf dem Schoß vom schäbigen Sofa aus Eisschnelllaufen schaute, dachte er darüber nach, mit welcher Leichtigkeit sie und ihre Schwester Sigerius «Papa» nannten. Mit einem neckischen oder bewundernden Lächeln sagten sie «Papa» zu ihm, bettelten «bitte, Paps» in sein Ohr, wenn sie etwas erreichen wollten, sagten anklagend «Pahaps», wenn sie sich über ihn ärgerten. Als er sie fragte, wie es dazu gekommen sei, erzählte sie ihm mit einem gewissen Stolz, dass sie das vom ersten Tag an getan hätten; seit dem Tag im Jahr 1979, an dem Siem Sigerius und Tineke Profijt ohne schmückendes Beiwerk, ohne Brautkleid, ohne Rolls oder Bentley, ohne ein Fest, auf dem Standesamt in Utrecht die Ehe eingegangen seien, habe sie «Papa» zu ihrem Stiefvater gesagt. Sie war sechs, Janis drei. Seit der Hochzeit nannte Joni sich Joni Sigerius. Ihren wirklichen Nachnamen, Beers, den sie ihm gegenüber nur widerwillig preisgab, goss sie in Beton und versenkte ihn in der Vecht.
Später zeigte sie ihm in ihrem Wohnheimzimmer ockerfarbene Polaroidfotos, auf denen eine unvorstellbar kleine Joni mit zwei Zöpfen am hellblonden Kopf zu sehen war, ein Mädchen, das überraschend gewöhnlich wirkte, ein beinahe hässliches Mädchen von sechs Jahren, das die Zunge herausstreckt und am Bein des jugendlich wirkenden Sigerius hängt – dem Bein ihres neuen Vaters, der sich einen wilden Bart hatte wachsen lassen. Ihre Mutter, auffällig schlank noch, nicht mager so wie jetzt, sondern schlank , in einem schlichten dunkelgrünen Hosenanzug, die rotznäsige Janis auf dem Arm, trug auf diesen Fotos eine klobige braune Sonnenbrille, weil ein Augenarzt eine Woche zuvor mit dem Skalpell Herpes von ihrem linken Augapfel gekratzt hatte.
Um mit ihrer Vergangenheit kurzen Prozess zu machen, folgten Mutter und Töchter ihrem neuen Familienvorstand nach Amerika, nach Berkeley, wo Sigerius assistant professor am Department of Mathematics wurde. Weder dort noch auf irgendeinem anderen Campus danach sprach Joni Sigerius von sich aus über ihren
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