Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
Vom Netzwerk:
makellosen babyblauen Pullover aus Lammwolle über einem Oberhemd, gebügelten Cordhosen, unter denen sich seine Waden wölbten, die breiten Füße in Loafers auf den Stützen des Barhockers, an dem, wie ein träges Tier, die korpulente Sporttasche aus Leder lehnte. Alle paar Minuten hob Sigerius grüßend die Hand. Aaron verspürte das leichte Unwohlsein, das er immer verspürte, wenn er sich in der Öffentlichkeit mit dem Rektor zeigte.
    Die weitläufige, achtzigerjahregraue Kantine erinnerte ihn an das Pacman-Labyrinth, zwischen halbhohen Mäuerchen aus Gasbetonsteinen bekamen hohe, widerstandsfähige Zimmeraralien zu wenig Licht, es gab zwei Billardtische und einen Kicker. Die niedrigen Flanellsitzecken waren zu dieser späten Stunde leer, Chlorgeruch aus dem Hallenbad irgendwo in den Tiefen des Gebäudes vermischte sich mit dem Geruch von Bitterballen und Linoleumboden. Sie gingen ihr Training durch, redeten dann kurz über die Universität, über den Studentenausschuss, der Sigerius ein Dorn im Auge war, aber das sei off the record , wiederholte er gebetsmühlenhaft. Ein paar Wochen lang hatte Aaron um den heißen Brei herumgeredet, doch jetzt sagte er: «Ich wusste übrigens gar nicht, dass du einen Sohn hast, Siem.»
    Sigerius nahm gerade einen Schluck Tonic Water. Er stellte das Glas auf den Tresen, wischte sich den Mund ab und schwieg einen Augenblick. «Aha», sagte er, «sie hat es dir also erzählt. Das konnte nicht ausbleiben.»
    «Ich war baff, wirklich. Ich wusste von nichts.»
    «Hat es dich erschreckt?»
    «Ein bisschen, ja. Ich hätte es nicht erwartet, natürlich nicht. Ihr seid so eine happy family . Da erwartet man das nicht.»
    «Das verstehe ich gut. Sehr gut sogar. Es ist ja auch verdammt noch mal kein Pappenstiel.»
    Weil Aaron von dem ernsten Ton, den Sigerius anschlug, berührt war, wählte er seine Worte mit Bedacht. «Nun ja», erwiderte er, «so etwas kann einem Menschen eben passieren. Die Zahlen lügen nicht. Fakt ist, dass dergleichen ständig passiert.»
    Sigerius rieb sich mit der Hand über das stoppelige Kinn, holte tief Luft und atmete durch die Nase wieder aus. «Das ist nett von dir», sagte er, «aber ich glaube nicht, dass das stimmt.»
    «Scheidung?», fragte Aaron erstaunt.
    «Scheidung?» Sigerius sah ihn mit verzogener Miene an, seine Ohren bewegten sich vor Verwunderung, seine Augen aber wirkten plötzlich wie zu Tode erschöpft, er alterte schlagartig. Grinsend zupfte er ein Haar vom Ärmel seines Pullovers und ließ es auf den Teppichboden fallen. Dann starrte er vor sich hin, als wägte er etwas ab. «Aaron», sagte er, «ich weiß nicht genau, wovon du sprichst, aber ich rede von Totschlag. Von einem grausamen Mord, den wir laut Gericht als Totschlag bezeichnen müssen. Der Schuft hat einen Mann umgebracht. Er ist schon vier Jahre im Gefängnis. Das wusstest du auch nicht?»
    Es war etwa dreiundzwanzig Uhr, der baumlange Student, der den Barkeeperjob versah, stand ungefähr zehn Meter von ihnen entfernt und spülte mit hochgekrempelten Hemdsärmeln Gläser; von zwei tratschenden Trainingsanzügen am Billard abgesehen, war die Cafeteria leer. Alles, was sie sagten, reichte bis in die Poren des Gasbetons. Die kurze Stille, die nun eintrat, war dinglich, ein schwerer Gegenstand. Ein Mörder? Errötend sagte er: «Das hast du dir ausgedacht, Siem. Du machst einen Scherz.»
    «Ich wünschte, es wäre einer.» Während Sigerius in Anbetracht dieser Tatsache in seinem Leben mühsam versuchte, gelassen zu bleiben, erzählte er ihm von seinem einzigen Kind, das inzwischen ein junger Mann in Aarons Alter war. Keine Geschichte, auf die man hätte stolz sein können. Ein Leben voller Verfehlungen, Drogenmissbrauch, Rückfälle. Derselbe kleine Wilbert, von dessen Existenz Joni ihn verblüffend neutral informiert hatte, wuchs in Sigerius’ Version zu einem Kriminellen heran, der sich wie ein Korkenzieher immer tiefer in die Misere geschraubt hatte. An einem ganz normalen Tag des Jahres 1993 erreichte Wilbert Sigerius dann den Tiefpunkt, als er einen zweiundfünfzigjährigen Mann erschlug. «Die Niederlande sind ein schönes Land», sagte Sigerius. «Wenn du dich danebenbenimmst, steht ein großer professioneller Freundeskreis für dich bereit. Wer keinen Mumm hat, sich einfach eine Arbeit zu suchen, dafür aber über ein Vorstrafenregister verfügt, dem geben sie einen schönen subventionierten Job.»
    Er klang überraschend verbittert, um einiges konservativer als sonst, diese

Weitere Kostenlose Bücher