Bonita Avenue (German Edition)
Campus ist. Er stellt den demolierten Stuhl zurück in die Bügelkammer, das Bein schiebt er, so gut es geht, in die gesplitterte Wunde. Das Letzte, was er im Haus noch tun kann, ist: das Arbeitszimmer durchsuchen, das an der Vorderseite liegt. Vielleicht findet er da ja noch den Schlüssel. Warmes Sonnenlicht überzieht den schlecht verlegten Dielenboden mit hellbrauner Glut, offenbar der Rohfußboden, Fliesen oder ein Teppich fehlen. Das Zimmer ist ein Treibhaus, Schweiß strömt ihm aus den Poren, er spürt die Hitze in den Schuhen. Von der dem Fenster gegenüberliegenden Wand sieht seine Familie ihn durch entspiegeltes Glas an, das Porträtfoto hat Aaron anlässlich ihres zwanzigsten Hochzeitstags gemacht. Mitten im Zimmer liegt eine Matratze mit zerwühltem Bettzeug, zwei billige Regale mit Lehrbüchern stehen dort, Satzanalyse , sieht er, Das sprechen lernende Kind , Ein Dichter scheißt nicht . Er sieht Ordner, in denen Ausgaben der Tubantia Weekly abgeheftet sind, einen Meter Suske & Wiske -Comics. In der rechten Ecke, zur Hälfte unter dem Fenster, ein Schreibtisch aus glänzendem Holz mit Aluminiumbeinen. Ein PC steht darauf. Verstohlen schaut er nach draußen, die Straße ist leer. Er setzt sich auf den Schreibtischstuhl aus grauem Kunststoff und zieht an den Schubladen, eine ist abgeschlossen, die andere quillt über von Kontoauszügen, geschäftlicher Korrespondenz, alten Geburtstagskarten. Er macht ein paar Stichproben. Uninteressant. Kein Schlüssel.
An der Wand über der Tischplatte hängt ein Korkbrett mit ausgeschnittenen Zeitungsartikeln, Cartoons, Ansichtskarten, Geburtsanzeigen und Fotos: Aaron mit seinen Eltern sowie einem steif wirkenden Jungen, der ihm entfernt ähnlich sieht, ein Streifen Passfotos von Joni. Dann beginnt er, verbissen in den aufeinandergestapelten Ablagekästen aus Plastik zu kramen, die an der Schreibtischkante stehen. Garantiezettel, ein Telefonvertrag, an die Tubantia Weekly adressierte Rechnungen, eine Ausgabe des Politmagazins Vrij Nederland , das keine Titelseite mehr hat. Im mittleren Kasten erregt eine glänzend blaue Mappe im Querformat seine Aufmerksamkeit, es handelt sich eher um eine Art Broschüre. Er nimmt sie, «Palmer Johnson» steht darauf, most desirable luxury high performance yachts in the world . Das Foto auf dem Karton zeigt in Draufsicht eine besonders stromlinienförmige Yacht, die einen dunklen Ozean durchpflügt, der metallicblaue Bug zieht eine schneeweiße Schleppe aus Schaum hinter sich her, die Loungesofas auf der Bordterrasse und dem Achterdeck sind altrosa. Erst als ihm nach genauem Hinsehen klarwird, dass der rosafarbene Fingerhut auf dem elegant geschnittenen Vorderdeck – zur Hälfte besteht das Schiff aus Bug – ein runder Pool ist, dringt zu ihm durch, wie groß das Ganze ist.
Er lehnt sich zurück und beginnt zu blättern. Vorne eingelegt zwei Aufnahmen auf normalem Fotopapier, die eine offenbar von demselben Schiff, das inmitten anderer Angeberyachten in einem sonnigen Hafen vor Anker liegt, die andere wahrscheinlich auf offenem Meer vom Deck aus gemacht, in der Ferne schimmert eine Küstenlinie, Menschen sind nirgends zu sehen. In der Mappe selbst: horizontale und vertikale Schnitte, technische Besonderheiten, Fotos vom Interieur: ein Wohnzimmer, größer als das unten im Haus, fest eingebaute Möbel aus cremefarbenem Leder, runde, glänzende Formen, indirekte Beleuchtung, ein Schlafzimmer mit der Anmutung einer Fünf-Sterne-Suite. Zwischen den letzten Seiten liegt der Durchschlag eines Belegs, einer Quittung des Port Privé de Sainte Maxime. In kaum lesbarer Handschrift sieht er zwei Daten und einen kaum entzifferbaren Namen: «Barbara …» und noch ein kurzes Wort, ein krakeliges A und zwei w. Außerdem ein «monsieur Bever» – steht das da wirklich? –, der für einen Betrag von 12 779,75 Francs aufgekommen ist.
Er starrt das Boot auf dem Mappenkarton eine Weile an, nimmt dann einen Kuli aus einem Köcher voller Bleistifte, Anspitzspäne und Büroklammern und notiert auf der Rückseite der Quittung den Namen des Fabrikanten und die Typennummer des Schiffs. Er faltet sie und steckt sie in sein Portemonnaie.
Warum mietet Aaron so etwas? Das ist eine der Fragen, die ihn umtreiben, als er sich zu Hause mit einem Kissen im Rücken das Fußballspiel ansieht. Die Niederlande überrennen die Dänen, und bei jedem Tor jubelt er gerade noch rechtzeitig mit seiner jüngeren Tochter, doch er ist nicht bei der Sache, er will
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