Bonita Avenue (German Edition)
Brigitte, als wir das niedrige, leere Wohnzimmer betraten und Boudewijn mit einem Beutel Eis auf dem Knöchel antrafen. Er saß auf der Couch, neben sich eine Kiste voller Singles, und schaute auf dem Breitbildfernseher die Tour de France an. «Was glaubst du eigentlich?», blaffte er. Aus Gründen des Taktes suchte ich die Toilette auf, wo ich mit einem Mund voll Leitungswasser einen Harnstrahl imitierte und mir so langsam wie möglich die Lippen färbte. Als ich zurückkam, dünstete Brigitte in der Küche Frühlingszwiebeln, und Boudewijn deckte den langen Tisch aus Glas. Während des Essens herrschte eine gespannte Gastfreundlichkeit. Boudewijn erzählte unwirsch von einem unlängst vollzogenen Umbau der Villa und gab mir ein paar Tipps für den Fall, dass ich die Praktikumsstelle im Silicon Valley tatsächlich bekommen sollte.
«Ist das denn noch nicht sicher?», fragte Aaron.
«Inzwischen schon.»
«Haben sie noch irgendetwas über mich gesagt?»
«Über dich? Ja, wir haben die ganze Zeit nur über dich gesprochen.»
Ich erwähnte lieber nicht, dass Brigitte sich beharrlich nach ihm erkundigt und mir nur zu gern darin recht gegeben hatte, dass ich über «diesen äh … Kerl» noch einmal nachdenken wollte, bestimmt erinnerten wir drei uns in diesem Moment an das Hochzeitsessen von Etienne Vaessen. Ich selbst jedenfalls hatte wieder vor Augen, wie Aaron von der Toilette zurückgekehrt war, wo er sich so irrsinnig lange aufgehalten hatte, zehn, zwanzig Minuten, eine halbe Stunde, ich hatte ihn eigentlich schon abgeschrieben. Zu dritt hatten wir ihn damals angeglotzt, er gab ein schreckliches Bild ab, grau wie Pappmaché, oben auf dem Scheitel ein weißer Zipfel – Klopapier, um die Blutung einer Wunde zu stoppen, erzählte er mir später –, sodass sein Kopf wie ein kaputtgekochtes Ei aussah.
«Jetzt also doch Amerika», sagte er nun.
Ich nickte schwach und ließ meinen Blick über das endlose Blau schweifen, das uns umgab. Trotz seiner Verstauchung hatte Boudewijn darauf bestanden, mich zum Bahnhof zu bringen. Die Abgeschlossenheit des Wageninneren schien ihn aufzumuntern. «Sobald sie auf dem Rücken eines Pferdes sitzt, hat sie einen vergessen», sagte er. Das Hin- und Herdrehen des Lederlenkrads in seinen Händen, die Ruhe, mit der er die Straße beobachtete und die Spiegel im Auge behielt: forschend und ironisch, statt in die Enge getrieben, so kannte ich ihn von der Hochzeit her. Während wir über die Schnellstraße dahinglitten, bedankte er sich bei mir für die Zusendung meines Lebenslaufs, er war der Ansicht, dass ich einen hervorragenden Academy Fellow abgeben würde, am Montag wollte er einem Kollegen im Silicon Valley ein Empfehlungsschreiben schicken. «Netter Mann?» «Eine ausgesprochen nette Frau, vorausgesetzt, dass du deine Eierstöcke in der Personalabteilung abgibst und deine Brückentage erst nach der Kündigung nimmst.» «Komisches Wort: Brückentag.» «Das ist ganz allgemein gebräuchlich, nur bei McKinsey nicht.» «Komisches Wort: Eierstock.» Erst jetzt musste er lachen, ziemlich genau in dem Augenblick, als er ein wenig ungestüm in einen Miniatur-Kreisverkehr einbog, sodass wir beide das Gleichgewicht verloren und er mit der Hand meinen Oberschenkel packte, warm und weit oben, die Finger zwischen meinen Schenkeln.
Aaron und ich tranken auf das Ligurische Meer. Und auf die Barbara Ann, unsere idiotische Luxusyacht, die wir gemeinsam zusammengehurt und in einem Anfall von Übermut gekauft hatten, warum, wussten wir nicht so recht, vielleicht weil wir zwei heimlichen Millionäre irgendwobei auch mal klotzen wollten. Aber es hatte was. Sie gehörte uns. Mit wem sonst als mit Aaron Bever konnte ich so übers Meer fahren? Ich glaube, am selben Abend haben wir zum ersten Mal wieder Fotos gemacht. Wir fuhren ums Cap Corse herum, steuerten, an Bastia vorbei, an der korsischen Ostküste entlang und legten in Santa Lucia di Moriani an, dem Badeort, in dem die Villa stand, die wir gemietet hatten. Wir sprachen offen über die nahe Zukunft, über Amerika, lachten in Anbetracht der vielen Fotos, die wir im Voraus machen mussten. Er sagte, er habe die feste Absicht, mich in Kalifornien zu besuchen, am liebsten führe er mit.
«Triffst du dich eigentlich noch mit Wilbert?», fragte er mich ein paar Tage später.
«Nein», beruhigte ich ihn. «An dem Tag, an dem ich mich mit ihm verabredet habe, sind wir noch hier. Ist auch besser so. Papa fing auch davon an, als ich mit ihm
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