Bonita Avenue (German Edition)
war, klickte ich auf einen Button, auf dem «Hintergründe» stand, halb in der Annahme, dort etwas darüber zu erfahren, wie Aaron in der fröhlichen und dankbaren Welt der Schulfotografie gelandet war, aber ich hatte mich geirrt, auf der Seite ging es um Hintergrundfolien, vor denen die zu Porträtierenden Aufstellung nehmen konnten: hellblau, blassrosafarbene Röschen, gesprenkelte Pastelltöne, «oder probieren Sie doch einmal etwas ganz anderes: Leinwand! Um einen besonderen Effekt zu erzielen, zieht Aaron Bever das Foto Ihres Sohnes oder Ihrer Tochter auf Malerleinwand auf, sodass das Schulfoto wie ein leuchtendes Ölgemälde aussieht».
Die Kinder selbst … Ein so quälender Gedanke, dass ich die Hand vor den Mund schlagen musste, glitt in mein Bewusstsein, füllte es aus – natürlich hatte er diesen Beruf nicht einfach so gewählt, es ging ihm um die Kinder . Als ich in Gedanken noch einmal seine E-Mails durchging, stand für mich zweifelsfrei fest, dass er kinderlos war. Für einen Mann Ende dreißig war das nichts Weltbewegendes, aber ich wusste, dass Aaron einen tiefsitzenden Kinderwunsch hatte, der ungefähr so alt war wie er selbst. Ich hielt es für unwahrscheinlich, dass er mit seiner Krankheit, dieser Schizophrenie, an der er ganz sicher litt, eine Frau hatte finden können, die es gewagt hätte, ein Kind von ihm zu bekommen. Das war ja keine Erkältung, an der er laborierte, und auch kein Rheuma: Soweit ich es beurteilen konnte, stand er mit einem Bein in der Hölle. Ich hatte eine gewisse Vorstellung von dem fortschreitenden Elend, das ihn plagte. (Ausgerechnet Rusty hatte mir die Geschichte von dem schizophrenen Mann erzählt, der während seiner Zeit als beginnender Entrepreneur in Redondo Beach in der Wohnung unter ihm gewohnt hatte. The Voice nannte Rusty ihn, und das hatte nichts mit Sinatra zu tun, obwohl auch Rustys Nachbar berühmt war für so etwas wie Timing und Phrasierung: Zwei Jahre lang brach er mit der ganzen Kraft seiner tiefen Stimme zu willkürlichen Zeiten, immer aber nachts, in ein infernalisches Brüllen aus, manchmal grölte er ein Lied, Black Betty von Ram Jam oder irgendwas aus dem Repertoire von AC/DC, doch meist wiederholte er in Stadionlautstärke ein Mantra, das Rusty mit dem erleichterten Grinsen eines Menschen, der nach Jahren auf etwas zurückblickt, in etwa so hinausschrie: «BIIIILLLL!!! You hear me, BILLL?! You owe me one point two FOCKIN ’!!! BILLION !!! DOLLARS!!!, BIILLLL!!!!» Stundenlang, die halbe Nacht, ohne Pause und ohne dass Clinton die Knete hätte rüberwachsen lassen. Ein paar Mal hatte Rusty die 911 gewählt und den Hörer auf seinen Fußboden gerichtet, woraufhin ihn die Notrufzentrale fragte, warum er den bei den Einrichtungen für geistige Gesundheit in Redondo gut bekannten Herrn denn zu sich nach Hause eingeladen habe. Keine Krankheit, um Frauen aufzugabeln. Keine Krankheit, um eine Familie zu gründen.)
«Ich will Kinder haben.» Das war so ziemlich das Erste, was Aaron mir anvertraute. Wenn ich mich recht erinnere, schon bei unserer ersten Begegnung, es war ein sonderbares Gespräch, das wir dort im Schnee vor dem Seminargebäude des Instituts für Technische Betriebswirtschaftslehre führten, um seinen langen Hals hing eine Kamera, auf dem Kopf hatte er eine flache Wollmütze – dass er sich eine große Familie wünschte, wusste ich, noch ehe ich gesehen hatte, dass er kahl war. Dennoch wurde mir der Ernst dieser Aussage erst so richtig bewusst, als ich ihn vier Jahre später schon mehr oder weniger verlassen hatte. «Weißt du, was Aaron mir gesagt hat?», fragte mein Vater mich, kurz bevor wir zum letzten Mal gemeinsam in die Ferien fuhren. «Er sagte, du sollst die Mutter seiner Kinder werden.»
Das hatte er geschickt eingefädelt – ich weiß noch, dass ich dachte: schlauer Fuchs. Zwei Wochen lang hatten wir kaum miteinander gesprochen, und da saß er, Siem, der Beziehungsberater, bewaffnet mit einer Entschuldigung, die den Bann brechen sollte. Über ein Leben ohne Aaron grübelnd, war ich in die große Wohnheimküche gekommen, und zwei Pfannkuchen backende Mitbewohnerinnen deuteten nach oben: «Dein Vater wartet in deinem Zimmer.» Und tatsächlich, da saß der Herr Rektor, in Hemdsärmeln, die seidene Krawatte hatte er über die Rückenlehne meines Schreibtischstuhls gehängt, und trank grünen Tee aus einem Plastikbecher. «Ich dachte, ich warte einfach mal auf dich, das findest du doch nicht schlimm, oder?»
Er fing ganz
Weitere Kostenlose Bücher