Bonita Avenue (German Edition)
finde, es steht dir zu. Und natürlich hast du dazu Lust.»
Das Gegenteil von Lust zwängte sich durch meine Nervenbahnen, eine programmierte Abneigung dagegen, mit offenen Karten zu spielen, erst recht, wenn ich von jemandem befragt werden sollte, der qua Beruf meine Privatsphäre verletzen will.
«Meinst du, ich kann die Barracks erwähnen?»
«Du kannst sie schwerlich nicht erwähnen. Außerdem ist es fürs Magazin. Bevor sie das Interview drucken, weiß sogar Belfast schon davon.»
«Und wenn sie sich die Neuigkeit rauspicken?»
«Die New York Times ? Machen sie nicht. Zu lokal. Die stellen ihr Erscheinen lieber ein, als dass sie eine West-Coast-Neuigkeit bringen. Denen geht es doch einzig um das Phänomenale, den Lifestyle, den Erfolg.»
«Kommen sie hierhin? Ich meine, an die Coldwater?»
«Das Mädel sitzt morgen um zehn auf diesem Stuhl.»
«Wie heißt sie?»
Rusty sah mich an, hob zwei Finger in die Luft. «Doppelname. Warte.» Er dachte nach. «Mary Jo irgendwas.»
«Und die zweite Sache?»
Er stand auf, ging zum Seitenfenster. Er schob den dick mit blauer Farbe gestrichenen Rahmen nach oben und steckte den Kopf nach draußen. Ich schaute auf die durchgescheuerten Gesäßtaschen seiner Jeans. Irgendwo musste Rusty gelesen haben, dass ein founder , ein richtiger Dot.com-Kerl, sich so salopp wie möglich kleidet. («Einen Anzug?», sagte er, als ich ihn zu Beginn mal darauf ansprach. «Was ich mache, ist schon anzüglich genug.» Einen einzigen Anzug hatte er, ein komisches, kobaltblaues Teil mit aufgestickten Kakteen, den ein gewisser Nudie speziell für ihn angefertigt hatte. «Wer ist Nudie?» «Das weißt du nicht? Nudie. Nudie Cohn. Der Schneider von Hank Williams. Nudie hat den goldenen Anzug von Elvis gemacht. Den Marihuana-Anzug von Gram Parsons. Sie weiß nicht, wer Nudie ist!») Und ich musste zugeben: Es funktionierte. Wenn Rusty und ich zusammen bei einem Inserenten waren, ich in Gucci oder etwas anderem und er als selbständiger Fuzzi in seinem Künstlerhemd, dann verstärkten wir den Eindruck, den wir erweckten, gegenseitig und strahlten die richtige Mischung aus Anarchie und Geschäftssinn aus. Jetzt rülpste er. Er zog den Kopf wieder nach drinnen und ging zurück zu seinem Stuhl. «Ich möchte in zwei Wochen in den Barracks drehen», sagte er. «Das muss möglich sein.»
Das war typisch Rusty, monatelang auf der Stelle treten, verzögern, mit unüberwindlichen Hindernissen jonglieren, dann die Wende und schließlich: über das Ziel hinausschießen.
«Das schaffen wir nie. Wir haben nicht mal Strom.»
«Dann müssen wir eben improvisieren. Mit Notstromaggregaten. Sieh mal zu. Und die Journalistin heißt Harland. Genau. Mary Jo Harland.»
Ich tippte den Namen bei Google ein, 162 000 Treffer in 0,24 Sekunden, der erste war ihre eigene Website. «Die schreibt Geschichten für den New Yorker », sagte ich. «Und für Granta .»
«Schön», sagte Rusty, «ich werd sie bestimmt nicht kaufen und schon gar nicht lesen.»
«Ist sie pro oder contra, was meinst du?»
«Joy – Probleme kriegen wir so und so. Wegen deiner Barracks. Unsere PR-Leute hatten heute Morgen Louis Theroux an der Strippe.»
Ein seltsames Vibrieren ganz oben in meiner Luftröhre bedeutete mir, dass ich von dem Interview Abstand nehmen sollte: Mach’s nicht, warum solltest du auch? Gerade als ich Rusty das mitteilen wollte, klingelte mein Telefon. Jemand Internes, sah ich. «Theroux ist ein Arschloch», sagte ich und schaltete den Apparat auf Freisprechen. «Hi, Steve.»
Rusty ließ den Kiefer nach unten klappen und schob die Zunge auf die Unterlippe. Er hatte etwas gegen Steve, hielt ihn für einen dry shite . Ich hatte ihn bei Google abgeworben, wo er in der Abteilung Human Resources nachweislich gute Arbeit geleistet hatte.
«Joy», hallte es metallisch durch mein Büro. «Ich ruf dich an, um dir zu sagen, dass Kristin mich angerufen hat, um mir zu sagen, dass du für Mittwoch, den 11. Juni, eingeplant bist.»
Rusty lächelte und nickte mir zu.
«Warum ruft Kristin mich nicht selbst an?», fragte ich. Am Vorabend im Gold Digger hatte Kristin Rose mich beiseitegenommen und mir erzählt, dass Isis psychische Probleme habe, überarbeitet, Identitätskrise, was weiß ich, und mindestens für einen Monat ausfallen werde. Ob ich vielleicht mal wieder einspringen könne? «Du bist meine letzte Rettung, Liebchen. Und du kannst es so gut.» Ärgerlich fand ich, dass Steve mich schon anrief, obwohl ich bisher
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