Bonita Avenue (German Edition)
Heimkehr und schließlich von der gläsernen Schiebetür.
«Was sagst du da?! Und er weiß alles?»
«Ja. Was ich dir erzähle, ist gerade mal zwei Wochen her, ist dir das klar? Wir kommen früher als geplant nach Hause, und da steht er. Und im selben Moment weiß ich, dass er alles weiß.»
«Warum erzählst du mir das?»
«Und dann ist er durch die Fensterscheibe durch», sagte ich. «Darum gehe ich jetzt nach Amerika. Er ist einfach so durch die Scheibe gekracht.»
«Aber warum erzählst du mir das, du Nutte?»
14
Er blutet wie Tatar. Unbestimmtes Pochen unter seinem linken Fuß, Nadelstiche in Hüfte und Unterarmen; wenn er das Kinn auf sein rechtes Schlüsselbein legt, kann er den Schnitt sehen, der diagonal über das Schultergelenk verläuft – aber er spürt kaum etwas. Sein körperlicher Schmerz wurde durch eine viel umfänglichere Malaise im Keim erstickt. Warum hatte er sich ausgezogen, warum war er nicht sofort wieder gegangen? Das Bedauern darüber, das sich in ihm abgelagert hat, fühlt sich an wie eine chronische Krankheit. Er presst den Rücken fest gegen die fensterlose Wand, hinter der Joni und Aaron sind, bleiben müssen . Er betet, dass sie ihm nicht folgen. Sein Gehirn ist wie ein Basar nach einem Bombenanschlag, Gedanken wie abgerissene Gliedmaßen. Seine Nacktheit ist ungeheuerlich. An den Blutstempeln auf den grauen Fliesen erkennt er, dass er ein Stück weit den schmalen Weg entlanggelaufen ist und wieder zurück. Einerseits endet seine gesamte Existenz an der Vluchtestraat, andererseits muss er zur Lasondersingel. In der ersten Panik wäre er beinahe auf die Singel gerannt, ein machtvoller Fluchtreflex. Unlängst ging er dort in einem schweigenden Zug, jetzt steht er nackt auf diesem schmalen Gartenweg. Nackt auf einem Weg mit nichts als einem Slip seiner Tochter am Hintern. Lass das bitte nur ein Albtraum sein . Wieder geht er in diesem Menschenzug und sieht sich selbst ohne Kleider aus dem Weg kommen, mit hunderttausend Augen betrachtet er sich: ein rasender Irrer. Seine Kleider liegen auf dem Dachboden, aber zurück ins Haus kann er unmöglich. Immer wieder sieht er sich selbst im Wohnzimmer stehen, sieht seine Nacktheit mit ihren Augen. Wo kamen sie auf einmal her? Immer wieder Joni, die vor Entsetzen hintenüberfällt. Immer dieselben Bilder einer Joni, die entsetzt zu Boden sinkt. Nimm dir eine Sekunde Zeit zum Nachdenken. Du musst hier weg. Aber das geht nicht. Die gefugte Mauer juckt auf seiner Haut. Über eine einzige Sache gleichzeitig nachdenken. Es muss erst dunkel werden. Das Licht nimmt ab, als würde er erhört, er schaut dorthin, wo das Licht abnimmt: Richtung Vluchtestraat steht eine Silhouette auf dem Weg. Einen Moment lang klebt er an der Mauer, eine Skulptur an einem lächerlichen Ort. Das widerhallende Springen eines Fußballs, es ist ein Kind, es rennt ein paar Schritte, nimmt den Ball und schaut. Mit einem Ruck setzt er sich in Bewegung, schleppt sich den Weg entlang, die Sohle seines linken Fußes steht plötzlich in Flammen, nach ein paar Metern verwandelt sich das Mauerwerk in ein grünes Nadelgehölzspalier. Es kommt ihm nur ein einziger Gedanke: Ohne zu zögern, zwängt er sich zwischen zwei mannshohe Nadelholzgewächse, die im Garten von Aarons Nachbarn stehen, zum zweiten Mal an diesem Abend windet er sich zwischen unzähligen Kitzelfingern hindurch, der körnige Sand saugt sich in dem klaffenden Loch in seiner Fußsohle fest. An der engsten Stelle stehen bleiben. Sich dünn machen. Der Sand will ihn aussaugen, das Kitzeln von Zweigen in seinen Ohren, zwischen seinen Pobacken, in seinem Nabel, der intensive Geruch von Harz. Er dreht seinen Kopf zum Garten hin, die Äste kratzen, er sieht eine Terrasse, die Terrassentür steht offen. Automatisch schiebt er sich ein Stück zurück auf den Weg und lauscht. Schritte, das widerhallende Springen des Balls, jede Schallwelle hallt zehnmal zwischen den zwei Wänden wider, das Kind kommt näher. Er kneift die Augen zu, horchend, ist selbst ein Nadelgehölz, hört nur sein sich stauendes Blut. Das Echo verstummt, die Schritte verlangsamen sich, sind kaum mehr zu hören. Pochende Wunden. Als er die Augen wieder öffnet, sieht er durch das dunkelgrüne Gewirr der Zweige das Kind, es steht vor ihm, ganz in Orange, es trägt ein Trikot der niederländischen Nationalmannschaft. Mit weit aufgesperrten Augen späht es nach vorn – auf seine Brust?
«Geh weg», flüstert er.
Es weicht zurück, ein kleiner Junge, wie sich
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