Bonita Avenue (German Edition)
Gekränktheit? Was wollte er mit dieser Vivianne? Etwas in der Art?
«Und morgens geht der Wichser geradewegs zum Versteck. Als wäre er von Zwoller Wölfen aufgezogen worden. Ronnie gräbt eine lederne Handtasche aus der kalten Walderde aus, Reißverschluss auf, siebzehn Tausender. Und tatsächlich, er gibt mir einen ab. ‹Für dich›, sagt er, ‹weil wir Kameraden sind. Und jetzt fahren wir nach Enschede. Du wirst schmutzige Dinge mit deiner Stiefschwester machen, das weiß ich, Mann. Und ich mach mit.›»
Er hielt inne und sah mich an.
«Warum sprichst du nicht weiter?», sagte ich, aber ich versuchte, auf Durchzug zu schalten. Vielleicht war die Antwort ja viel einfacher, und alles ließ sich mit dem Anblick meines wegschlurfenden Vaters erklären. Die Erschöpfung eines geschlagenen Mannes, dessen Vitalität uns, bevor Wilbert aufgetaucht war, in Erstaunen versetzt hatte. Das fing schon in Amerika an; wenn ich morgens aufwachte, sprang ich aus dem Bett, in das mein neuer Vater mich am Abend zuvor gebracht hatte, und ich sprühte vor Lebenslust, die ein Echo seiner Lebenslust war. Obwohl er in Berkeley seinen mathematischen Gipfel erreichte, hätte man eher meinen können, dass er zwischen neun und fünf irgendwo auf dem Campus an ein riesiges Akkuladegerät angeschlossen wurde. Siem war unglaublich. In der Bonita Avenue wartete er in den Wochen vor Weihnachten, bis Janis und ich im Bett lagen, und dann sägte, hämmerte und pinselte er mit dem Werkzeug meiner Mutter eine Puppenstube für uns. Sonntags kochte er Spaghetti mit roter Soße. In nur einer Stunde bastelte er aus einem Müllsack und ein paar Sperrholzlatten einen Drachen. Als wir wieder in den Niederlanden waren und gerade das Bauernhaus bezogen hatten, da baute er im Garten ein Gehege für fünf Leghorn-Hühner und einen Kaninchenstall, die er jeden Samstag, vor sich hin summend, mit Dettol und kochendem Wasser ausmistete. Wir schauten atemlos zu, als er mit einem Anhänger alte Ziegelsteine von einem abgerissenen Jungeninternat hinter Boekelo holte, sie im Laufschritt um das Haus herumtrug und, vor sich hin summend, mit selbstangemischtem Mörtel ein großes Pflanzenbeet mauerte. Von all dem Kerosin war 1989 kein Tropfen mehr übrig. Verbrannt wegen Wilbert – ich glaube, dass mir das klarwurde, als mein Vater von der Toilette zurückkam und wie ein leeres, zerbeultes Fass mir gegenüber Platz nahm. Es musste Schluss sein mit dem Jungen.
«Ronnie konnte meinetwegen verrecken», sagte Wilbert jetzt. «Ich wollte diesen Idioten überhaupt nicht dabeihaben, Mann. Ich sage also zu ihm: ‹Das glaub ich nicht›, und er sagt: ‹Das glaub ich schon›, und ich sage: ‹Fick dich›, und er packt mich bei der Kehle und wirft mich zu Boden und sagt: ‹Geld zurück, du dreckiger Bastard›, also sage ich: ‹Okay, dann komm halt mit, aber das kostet dich einen Tausender extra.› Sofort lässt er mich los und gibt mir noch einen Tausender, verstehst du, er ist so dumm .»
Und langsam, sagte Wilbert. Ein träger Muskelprotz, den er bei Cooper-Tests in Hunnerberg leicht hinter sich gelassen hatte, also marschierte er kräftig drauflos, hin zur weit entfernten Ausfallstraße, auf der sie am Abend zuvor hergekommen waren. Auf dem Radweg bog er absichtlich falsch ab, nicht zurück zum Bahnhof von Zwolle, sondern stadtauswärts. Und prompt blieb Ronnie stehen. «Hey, Mann, wir müssen in die andere Richtung!» Und dann war Wilbert losgerannt, losgejoggt eigentlich, in einem ordentlichen Tempo, immer weiter geradeaus, bis Schwarzenegger aufgab und zu einem immer kleiner werdenden Punkt auf diesem Radweg wurde. Im erstbesten Dorf machte Wilbert in einem Supermarkt einen Tausender klein und nahm ein Taxi nach Almelo, nicht den Zug, weil er fürchtete, der geile Ronnie könnte auf dieselbe Idee gekommen sein. In Almelo lief er dann zitternd vor Kälte rum, bis die Geschäfte öffneten. Bei V & D kaufte er Kleidung und einen dicken Mantel, den er gleich anbehielt. In einem Baumarkt besorgte er sich ein Seil, ein Stanleymesser, eine Art Machete, «fast so was wie ein Schwert, Mann», und schwarzes breites Plastikklebeband. Bei Perry Sport holte er sich eine Sporttasche, in der er den ganzen Kram verstaute.
«Ist das wirklich alles wahr?», fragte ich. Der buchstabierte doch gerade eine sexuelle Phantasie aus, etwas, das ihm eben erst eingefallen war, einen seiner Wunschträume, auf die er sich in seinem Knast einen runtergeholt hatte. «Ich glaube rein gar
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