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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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er habe «mit offenem Knopf» ein Taxi nach Enschede genommen und sich in der Dämmerung zwischen Campus und Stadt absetzen lassen. Er wählte eine sanfte Kurve mit hohen Sträuchern, um sich zu verstecken. Da er noch ein paar Stunden Zeit hatte, erkundete er die Gegend abseits des Wegs. Harte Betten aus grauem Sand, tote Wurzeln lagen darauf. In der Ferne ein zugefrorener Tümpel, neben einem Steg stand ein Schuppen. «Inmitten des Gerümpels lag ein Schlauchboot, das ich aufgeblasen hab. Kurz mal liegen, verstehst du. Da hab ich eine Stunde oder so dringelegen. Ich war einfach … geil .»
    Er hatte das Klebeband und seine Messer aus der Sporttasche genommen und war zu der Kurve gegangen. Fahrradlicht sah er schon von weitem, aber es dauerte jedes Mal eine gewisse Zeit, bis er mit Sicherheit wusste, ob ich es war oder nicht. Dann erkannte er mich, das blonde Haar unter meiner Mütze. «Wie du dich beim Radfahren über den Lenker beugst, verstehst du.»
    Ich ging zu meinem Stuhl zurück und setzte mich wieder. Ich zog die Nase hoch. «Du bist verrückt», sagte ich, «total verrückt.»
    Er atmete unruhig. Seine Finger krallten sich in das schlaffe Leder des Sessels. «Du Miststück warst nur ein paar Meter von mir entfernt.» Der Unterschied zwischen seiner rechten und linken Gesichtshälfte war noch nie so groß gewesen wie jetzt. Es war unmöglich zu beschreiben, wie er mich ansah. «Da erst bemerkte ich, dass jemand hinter dir fuhr. Irgendeine Tusse ohne Licht. Ich zögerte.»
    «Du hast gezögert?», sagte ich. «Du phantasierst. Ist doch alles Blödsinn, Wilbert. Nichts davon ist passiert. Was erzählst du mir da eigentlich? Du weißt ja nicht mal, wie du die Geschichte zu Ende bringen sollst.»
     
    Ja, so war das. Ich hatte vergessen, wie wütend er werden konnte. Bumm. Er sprang aus dem Sessel auf, so schnell, dass der mit lautem Getöse umfiel, die vier eisernen Beine ragten in die Luft. «Du Biest!», rief er, «du elendes Biest! Du verdammtes Drecksbiest! Ich hätte dich einfach in Stücke schneiden sollen – verflucht, was bist du für ein Biest. Ich hätte dich verdammt noch mal in Stücke geschnitten, das kannst du mir glauben. Ich konnte dich riechen, deinen Verrätergeruch. Deine Bravheit, die Treue zu deinem Vater, die Treue zu deinem Nest, deine …»
    «Ich habe keinen Kontakt mehr zu Siem», übertönte ich ihn schreiend. Ich erschrak vor mir selbst. Auch ich war aufgestanden, wir standen uns Aug in Aug gegenüber, vier Schienbeine, die sich gegen ein Rattantischchen pressten. Ich hasste mich selbst, hatte ich mir doch vorgenommen: keine Eskalation, keine Szene. «Siem und ich werden uns nie wiedersehen, hast du gehört?», brüllte ich. Aber warum? Warum sagte ich das? Wollte ich ihn beeindrucken? Es war genau wie früher, sein Verspotten meiner Bravheit und mein Bedürfnis, ihm das Gegenteil zu beweisen. Ich sah, dass Wilbert hellhörig wurde, er spitzte den gesunden Teil seines Mundes.
    «Wieso denn das?» Seine Stimme klang ruhig, als wäre er nie wütend gewesen. Er streckte den Arm aus, legte eine Hand auf meine Schulter und ließ sie in einer unbestimmten Streichelbewegung hinuntergleiten. «Erzähl.»
    Ich ließ mich wieder auf den Stuhl sinken. «Ich bin nicht so … brav, wie du vielleicht meinst.»
    «Und was hat das mit ihm zu tun?»
     
    Katharsis. Allein schon der simple Akt des Erzählens, das In-Sprache-Gießen des ganzen Ärgers, der sich in der Vluchtestraat ereignet hatte, des noch so frischen Schreckens, der mich tagelang fiebrig im Bett hatte liegen lassen, das In-Worte-Fassen dessen, was von uns vier Jahre lang wie von zwei Spionageabwehragenten ausgeheckt worden war, schon das schenkte mir eine seltsame, tiefe Erleichterung. Die wirkliche Genugtuung aber verschaffte mir die Ratlosigkeit auf Wilberts Gesicht, die aufgegeilte Bewunderung, er schien sogar ein bisschen schockiert zu sein, er fand es «bizarr und ziemlich verboten». Er hatte sich aufrecht hingesetzt und hörte mir, die Hände auf den Knien, zu. «Bist du Nutte reich?», wollte er wissen.
    «Nein, bin ich nicht.»
    «Natürlich bist du reich.»
    «Wirklich nicht.»
    «Na gut. Aber was hat er damit zu tun. Ich erzähl dir immerhin auch Sachen, verstehst du.»
    Seine Scharfsinnigkeit, wenn es darauf ankam. Vielleicht weil ich froh war, dass er nicht mehr vom Geld sprach, vielleicht weil ich fand, dass er einen gewissen Anspruch darauf hatte, erzählte ich ihm ohne Umschweife von unserem Urlaub, von unserer

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