Bonita Avenue (German Edition)
gestartet, als Bos SMS- und Sprachnachrichten der Reihe nach auf meinem Handy eintrafen. Stell dich nicht so an, blaffte eine Stimme in meinem Kopf. Bo zu verlassen war eine goldrichtige Entscheidung gewesen. Wir saßen zu dritt auf dem ledernen Rücksitz, ich hinter dem manisch aufgedrehten Rusty, der trotzdem fuhr wie eine alte Frau, Bobbi in der Mitte, Vince auf der anderen Seite hinter Kristin, die auf dem Beifahrersitz laute Reden schwang. Um mich herum keinerlei Tristesse nach dem Akt; die Atmosphäre war, wie meist nach einer Aufnahme, herzlich und enthemmt, wir fuhren zur Coldwater, um beim Schluss von zwei weiteren Drehs dabei zu sein. Weggehen war das Beste, was du je getan hast. Bobbi schob ihre kleinen Finger zwischen die meiner rechten Hand und drückte sich an mich, vielleicht um möglichst weit weg von Vince zu sein.
Ich wäre gestorben vor Langeweile. Vor Mikes Geburt waren Boudewijn und ich wenigstens noch unglücklich, zusammen unglücklich in San Francisco: Monate, in denen wir verletzt und entwurzelt in unserer neuen Stadt herumirrten und einander brauchten, um Trost und Gesellschaft zu finden. Nach der Entbindung war Boudewijn auf einmal zufrieden, und ein zufriedener Boudewijn las aus Kinderbüchern vor (die wenigen Male, die ich ihn noch reden hörte), ging seinen Hobbys nach (die einzigen Ausflüge, die wir machten, waren lange Autofahrten durch Kalifornien, manchmal bis nach Nevada hinein, und immer endeten sie in der Scheune eines Bauern auf Pantoffeln, der eine Decke von einer halb vergammelten Jukebox zog), oder er zankte herum. Konflikte hier, Konflikte da, ich konnte das Wort nach zwei Jahren Boudewijn Stol schon nicht mehr hören. Wenn ich abends aus dem Silicon Valley nach Hause kam, zurück auf den Russian Hill, dann saß er oft schon in seinem Satin-Pyjama da und schrieb E-Mails, Episteln der Entrüstung: an die anderen Vorstandsmitglieder des Golden Gate Park Golfclubs, an das Personal von Mikes Kindergarten, an seine Partner bei McKinsey, an seinen Scheidungsanwalt, dessentwegen er sich einen Anwalt genommen hatte. Die Einzige, auf die er aus seinem Schützenloch noch keine elektronischen Granaten abfeuerte, war ich.
«Ruf mich sofort an», stand in der ersten SMS, die ich öffnete. Ein neuer Besorgnisschub erfasste mich. Mike fuhr in letzter Zeit viel Go-Kart. Oder war es gar nichts Schlimmes, und es ging nur um Geld? Hatte ich irgendwas nicht überwiesen? Tatsache war jedenfalls, dass ich nicht eine Sekunde daran dachte, aus diesem Auto heraus in San Francisco anzurufen, einfach weil ich zu viel Schiss hatte, weil ich zu ängstlich war, zu hasenfüßig, weil mich zum Beispiel die Vorstellung schreckte, Rusty könnte mir das Telefon aus der Hand reißen und etwas von dem hineinplappern, was er schon seit einer halben Stunde vom Stapel ließ, Dinge, die er als Kompliment verstand und es in gewisser Weise ja auch waren, mich aber endgültig meines Sorgerechts beraubt hätten.
« Feck , Joy, du kannst wirklich knüppelhart sein», hatte Rusty gleich nach den Aufnahmen gerufen. Seiner Meinung nach war mein Auftritt «faszinierend» gewesen, erschütternd fast. Einen Moment lang hatte er sich Sorgen gemacht, als auf Bobbis Oberschenkel blutrote Striemen erschienen waren: Wenn die mal bloß wieder abheilen, bevor sie sich auf Soderberghs Set ausziehen muss. Aus welchen Tiefen ich den nötigen Sadismus hervorgeholt hatte, behielt ich wohlweislich für mich, das Bobbi-Püppchen, das mit der Wange an meiner Schulter lehnte, hätte es vielleicht nicht einmal verstanden. Kern des Ganzen war, dass ich es hinbekommen hatte, Meryl Dryzak ihrer selbst wegen zu hassen. Aus Neid darüber, dass sie war, wie sie war. Alle Eifersucht, die in mir steckte, hatte ich mobilisiert, um sie für ihre Durchsetzungsfähigkeit zu hassen, für ihre Ausstrahlung, für ihren Mut und für die Geradlinigkeit, mit der sie an ihrem achtzehnten Geburtstag zu derjenigen geworden war, die sie sein wollte, ohne Maskerade, Furcht, verklemmte Scham : So bin ich, und nun seht zu, wie ihr damit klarkommt – und was hatte es ihr gebracht! Ja mehr noch, was hatte mich das entgegengesetzte Verhalten gekostet. Schisserhafte Halbherzigkeit, sie war mir schon einmal teuer zu stehen gekommen, doch wieder führte ich ein Doppelleben, wieder hatte ich alles Mögliche zu verbergen. Ich ließ mich von der New York Times interviewen, allerdings ohne Foto. Das müsste man Bobbi erst einmal erklären.
(Boudewijn hatte ich seinerzeit
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