Bonita Avenue (German Edition)
ihrem Schoß lag ein Handtäschchen aus weißem Leder. Den Streich hat Mieke ihm gespielt, aber es ist ein willkommener Streich; bis jetzt waren sie nicht weiter vorgedrungen als bis zu ein wenig Erröten und Herumgestottere an der Hintertür, wenn er Menno abholte, jetzt sitzen sie mehr als zwei Stunden beieinander und unterhalten sich, und gemütlich ist es zudem, sie reden über Beatgruppen, die ihr gefallen, über den Spirituosenladen an der Oude Gracht, wo sie an der Kasse steht; Margriet hat eine tiefe, etwas melancholische Stimme, doch wenn er einen Witz macht, kreischt sie vor Lachen auf, um einiges lauter jedenfalls als über die sarkastischen Scherze von Freek. Um halb zehn klatscht Mieke in die Hände. «Siem, bringst du Margriet zum Bahnhof?» Lieber würde sie Freek die Eheringe überreichen lassen.
An das, was ihre Verlobungszeit ausgemacht haben muss, kann er sich kaum erinnern. An die erste Begegnung mit Margriets Eltern, eine nervenaufreibende Zusammenkunft in einem verräucherten Wohnzimmer im Utrechter Stadtteil Wijk C, von der man ihm hinterher erzählte, dass er im Eiltempo alle vier mit Butter bestrichenen Scheiben Pfefferkuchen von dem glasierten Teller genommen und aufgegessen hat; an sonntägliche Spaziergänge durch Amelisweerd, eine Parkanlage am Kromme Rijn, auf denen sie versuchten, sich gelöst zu unterhalten, bis sie es sich verdient hatten, sich hinter den Vossegatse-Deich zu legen und sich zu küssen.
Drei Monate später heiraten sie. Es dauert eine Weile, bis ihm klarwird, wen genau er da an seiner Seite hat, so wie auch Margriet erst in der Hochzeitsnacht da oben in ihrer Wohnung in der Antonius Matthaeuslaan seine Tätowierung entdeckt: die beiden blaugrünen japanischen Schriftzeichen, die er sich im Hafen von Marseilles nach einem Turnier auf die Brust hat stechen lassen und die laut Menno «Judo» bedeuten. («Fu Yong Hai also», sagt sie, einer ihrer dünn gesäten Witze, über den er lachen muss.) Was wissen sie voneinander? Er ejakuliert, ehe er es recht bemerkt.
Sie erweist sich als himmelschreiend faul. An den Tagen, an denen er morgens in Amsterdam Selbstverteidigungskurse gibt und erst gegen eins auf dem Utrechter Hauptbahnhof ankommt und zu ihrer neuen Wohnung in der Antonius Matthaeuslaan radelt, um für das Nachmittagstraining ein paar Butterbrote zu streichen, sieht er schon von der Straße aus die geschlossenen Vorhänge hinter dem Schlafzimmerfenster. So wie vermutlich an jedem anderen Wochentag auch liegt Margriet noch in dem Bett, das sie von seinem Vater geerbt haben, auf dem furnierten Nachttischchen ein leergelöffelter Suppenteller mit Resten von Eierlikör aus dem Schnapsladen, in dem sie seit ihrer Hochzeit nicht mehr arbeitet. Wenn er sie auf ihren anstößigen Müßiggang anspricht – er sei in einem japanischen Drillcamp gewesen, wo kurz und tief auf Matten geschlafen werde, die so dick wie Pauspapier seien, und man mit den Tieren des Urwalds aufstehe, anschließend sechs Kilometer Langlauf und erst dann Frühstück –, reagiert sie auf emotionslose Weise reuig.
Er unterzieht sie einem, wie man heute sagen würde, Berufseignungstest und sorgt dafür, dass sie in einem Nähatelier in einer Nebenstraße des Vleutenseweg eine Lehre anfangen kann: Kleider nähen, Jacken abstecken, Kostüme aus Stoffbahnen anfertigen, die, wie er herausfindet, für kleines Geld auf dem samstäglichen Stoffmarkt im Begijnhof verkauft werden. Von seinem Trainergehalt kauft er ihr eine Singer-Nähmaschine, die er in der Nähe der Steckdose auf den Küchentisch stellt. Das Ganze scheint erfolgreich zu sein, es gefalle ihr, sagt sie, die Schneiderin sei immer zu Späßen aufgelegt, ihn erreicht Wissenswertes über andere Frauen, meist komplexe Geschichten über Liebe und Verrat, aus denen er den Schluss zieht, dass Margriet im Atelier Vertrauen genießt. Hin und wieder kommt sie mit einem selbstgemachten Rock oder einer Jacke nach Hause, manchmal näht sie sogar etwas für ihn – sie hat Talent dafür, alles sieht aus wie aus einem Geschäft, und es ist schwer zu beschreiben, was in ihm vorgeht, als er nach gut einem Jahr entdeckt, dass die Sachen tatsächlich alle aus Geschäften kommen, vom Haushaltsgeld gekauft, vom Geld, das für ihre Ausbildung gedacht war – denn Margriet gibt umstandslos zu, dass sie nur zweimal in diesem Atelier gewesen ist.
Er kann es nicht länger leugnen: Ehelich verbunden ist er mit einer seltsamen Frau. Mit einer Sprotte, die schläft oder
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