Bonita Avenue (German Edition)
ich gleich zu», sagte sie. «Also, ich tanze dort an, und sofort meinen die Leute von der Produktion: So sieht kein achtzehnjähriges Mädchen aus. Stimmt, antworte ich, so sieht ein neunzehnjähriges Mädchen aus. Das kann schon sein, sagen die, aber bei Tyra geht’s heute um Teenager in der Porno-Industrie, und deshalb wurdest du eingeladen. Dann brachten sie mich zu einem Ständer mit Kindersachen. Oilily. Sie zwangen mich dazu, mich zu verkleiden als … als …»
«Gretl von Trapp. Darf ich deine Seife haben?» Ich ging zu den Duschen.
«Hast du den rosafarbenen Pullover gesehen?», rief sie mir hinterher. «Und diese flachen Treter? Sogar meine Ohrhänger musste ich abnehmen. Die Fernsehtusse hat mir kleine rosa Ohrstecker gegeben.»
Ich hob die Duschhaube auf und öffnete die verkalkten Hähne. Die Duschköpfe begannen zu zittern und stoßweise zu spritzen. Ein klumpiger Strahl heißen Wassers prasselte auf meine Schultern. Bobbie stellte sich in die Türöffnung zum Duschraum und sah mir beim Einseifen zu.
«Die Haare straff nach hinten zu einem Pferdeschwanz, kaum Lidschatten, zu viel Rouge, du weißt schon. Na warte, dachte ich. You fuck .»
In der Tat hatte sie ausgesehen wie die heilige Jungfrau Maria am Karsamstag, doch das hatte den Effekt ihres Auftritts nur noch vergrößert. Was für ein Charme, was für eine schaurige Gelassenheit. Mit aller Ruhe hatte sie ihre Entscheidungen begründet, nicht anders, als sie es auch sonst tat, von Rechtfertigung konnte keine Rede sein, und sie ließ sich von Tyra mit ihren komplett vorformulierten Fragen auch nicht in die Enge treiben. Wie immer sprach Bobbi trocken und monoton, die Worte gepökelt wie Kamelfleisch, die Vokale plattgebügelt, kesser Scharfsinn schwang darin mit und eine nicht näher zu fassende Herablassung, die Tyra ganz unruhig machte. («Bobbi, diese Frage musst du nicht beantworten, aber ich stelle sie trotzdem mal: Wurdest du früher missbraucht?» «Ich? Nein. Ich hatte eine wunderbare Jugend. Wieso fragst du? Wurdest du etwa missbraucht, Tyra?»)
Der Todesstoß aber war das mit dem Soderbergh-Film. Gleich nach einer zensierten Kostprobe von Bobbi in full motion wollte Tyra wissen, wie lange sie noch in dem Geschäft bleiben wolle, und als Bobbi antwortete, sie habe vor weiterzumachen, bis sie keine Lust mehr habe, fragte Tyra, wie sie sich ihr Leben danach vorstelle. Bobbi sagte, sie erwäge eine normale Schauspielerkarriere, und als Tyra mit Mühe ein hämisches Lächeln unterdrückte und fragte, ob Bobbi glaube, Hollywood warte geradezu auf sie, da erwiderte Bobbi, das wisse man natürlich nie, sie sei jedenfalls morgen auf dem Broadway mit Steven Soderbergh zum Mittagessen verabredet.
«Steven Soderbergh?», sagte Tyra. «Du meinst den Regisseur Steven Soderbergh?»
«Ocean’s Eleven, Twelve, Thirteen» , antwortete Bobbi, «die Filme mit Clooney und Pitt.» Und nachdem Tyra ein paar Sekunden lang wie ein Autoscooter ohne Fahrchip ausgesehen hatte, fügte sie hinzu: «Sex, Lügen und Video?»
«Ich weiß durchaus, wer Soderbergh ist», schnauzte Tyra. «Du gehst zu einem Casting, wenn ich dich richtig verstehe.»
«Ich habe eine Rolle. Ich spiele die Hauptrolle in Steves neuem Film.»
Also genau das falsche Pornostarlet nach New York geholt. Wie herrlich, diese tiefe Verzweiflung auf Tyras besserwisserischem Gesicht. Auf dem Podium hockte eine verdutzte Delegation der Anti-Porno-Bewegung: ein christlicher Hetzer und eine Feministin, beide hatten sie über die psychischen Schäden, die Bobbi, ich und Rusty der Gesellschaft zufügen, promoviert. Dürfen wir dieser kindlichen Schlampe glauben? Dieser verdorbenen Schwanzlutscherin, die der Unterweltmob von L. A. zur SuperSlut 2008 gevotet hat? Die irgendwelche Preise einheimst für den versautesten Blowjob des Jahres, den versautesten Dreier des Jahres, das versauteste Was-auch-Immer des Jahres – müssen wir der glauben, weil sie so schokoladenbraune Augen hat? Man sah, wie es in Tyra Banks arbeitete: Wieso weiß ich nichts davon? Wieso wissen meine Redakteure nichts davon? Und diese Verzweiflung übertrug sich, wie ich sah, auf das anwesende Publikum und damit auch auf uns, zu Hause. Lügt sie? Im Studio hatte man kaum Zeit, darüber nachzudenken, the show must go on , sodass die Frage für den Rest der Sendung wie ein Bussard über Tyra schwebte: Stimmt es? Oder hat man Bobbi inzwischen so mürbe gevögelt, dass sie drauflosphantasiert? Und wenn sie wirklich die Wahrheit
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