Bonita Avenue (German Edition)
zwei Hände schrauben sich ums Handgelenk, und wie in einem Traum – es ist, als träumte er vom Judo, so wie er so oft vom Judo träumt – wendet er die Technik an, für die er früher bekannt war, eine klassische Armklemme, einen Shiho-Gatame, Wörter, die in ihm nachklingen wie der Vor- und Nachname eines Busenfreunds. Blitzartig wirft er seinen eigenen Körper quer auf den von Wilbert, schwingt sein linkes Bein über dessen fleischigen Brustkorb, das rechte über Kehle und Schultern, Kontakt, Kontrolle , es ist eine fließende Bewegung, quer auf dem anderen Körper, sein Unterleib unter dem linken Schulterblatt, ein Brecheisen aus Muskeln . Ein Glücksgefühl durchströmt ihn: Am geringen Widerstand merkt er, dass hier nur ein Judoka anwesend ist. Wilbert schlägt mit dem Nunchaku wild drauflos, der stählerne Stab trifft ihn am Oberschenkel, doch er nimmt es kaum wahr. Das verschwitzte Handgelenk steckt im Schraubstock seiner Hände, er biegt Wilberts Arm – einen kräftigen, trainierten Arm, das spürt er genau – über seinen Bauch und die Brust, es geht so schnell, ein perfekt gestreckter, nein, überstreckter Arm; wenn er wollte, könnte er den Daumen abbeißen. Nicht nötig: Er muss nur den Rücken ein wenig anspannen, den Rücken etwas ins Hohlkreuz bringen, sodass sein Bauch sich unter dem Ellbogen wölbt, und ein jeder würde singen. Wilbert hebt sein blutiges Gesicht, versucht, ihn in den Unterschenkel zu beißen, und verpasst dem Schuhschrank wüste Tritte. Er nimmt eine Hand vom Gelenk und zerrt den Kopf am flachsartigen Haar nach hinten. Er spannt seinen Rücken an. Augenblicklich ertönt Gebrüll, ein lauter Schrei aus blutigem Mund – ja, das tut weh, das weiß er, dem ist keiner gewachsen, Geesink nicht, Ruska nicht, du nicht. Das Schreien wird zum Kreischen, kein Mitleid durchströmt ihn, sondern tiefe Befriedigung, er hört das Gelenk knacken, oder ist es Genuss? Es ist purer Genuss. Ein uferloses, sadistisches Genießen. «Hör auffff, hör auffff, du Drecks kerl.» Er macht weiter bis hinter den Punkt, an dem er in der Vergangenheit Hunderte Male angehalten hat, das Kreischen wird bestialisch, er drückt sein Rückgrat durch, schrei du nur, niemand hört dich, wie in einem Traum überschreitet er die Grenze, schiebt er seinen Bauch gnadenlos weiter vor, die Fersen tief in den Teppich gedrückt. Was er hört, ist ein dumpfes, grausiges Krachen, begleitet von heiserem Kreischen, der Knochen zerbricht, als wäre er ein Tischbein, der Ellbogen bricht vollständig durch, beschreibt einen unnatürlichen Winkel von fast neunzig Grad, der Arm verliert jede Kraft, ein schlapper Lappen, der Ärmel des Pullovers saugt sich voll Blut, er spürt die warme Feuchtigkeit auf seinem Bauch und etwas Scharfes, offenbar hat sich der Knochen durch die Haut gebohrt.
«Das hast du verdammt noch mal davon!», brüllt er. Erst dreht er den Unterarm herum, wütend, als wollte er ihn ganz abreißen, dann tritt er die schreiende Gliederpuppe von sich herunter. Die setzt sich trotz allem sofort in Bewegung, wie ein zuckendes Huhn hockt Wilbert sich hin, sein verdutztes, hässliches Gesicht ist nichts als Entsetzen, der Mund eine plattgetretene Tomate. In ihm muss ein alles übertönender Schmerz toben, so laut jammert er, es klingt wie tränenloses Heulen, den Kampf fortzusetzen scheint er nicht einmal in Erwägung zu ziehen. Voller Bestürzung starrt er auf seinen zerstörten Ellbogen, die Hand seines gesunden Arms hält das zersplitterte Gelenk, Blut fließt über seine Finger.
«Ich bring dich um», greint er, doch stattdessen bewegt er sich wie eine Krabbe aus dem Ankleidezimmer hinaus. Er stolpert über den Fuß des galvanisierten Ständers mit Tinekes Kleidern, unter lautem Geschepper rollt er in die glänzenden Stoffe, richtet sich heiser röchelnd wieder auf und flieht ins Schlafzimmer.
Muss er hinterher? Sigerius bleibt auf dem Rücken liegen. Einen Moment später hallt das Stöhnen und Jammern durch die Diele, dann ein hohl dröhnender Tritt. Mit einem lauten Knall schlägt eine Tür zu, die Wohnzimmertür – der Feind ist dort, er ist hier, der Länge nach auf dem Teppich seines Ankleidezimmers.
Minutenlang liegt er wie tot da. Das Heben und Senken seiner Brust. Sein Gebiss klappert, vor Anstrengung, vor Schreck, vor Kälte : Es friert Stein und Bein. Frost verbeißt sich in seinem nackten Körper. Dann ist er auf einen Schlag hellwach: Vielleicht kommt der Schuft wieder. Mit einem Messer. Mit
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