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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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ihrer Körperflüssigkeit.
    Er kann im Wintergarten sein oder in der Küche. Oder im Weinkeller. Seine Handys liegen mitten auf dem Couchtisch, genau da, wo er sie hingelegt hat. Das Festnetztelefon steht nicht auf der Ladestation, er kann es nirgends entdecken. Wenn der Bursche eine Waffe hat, dann ist er hier verloren: ungeschützt, eine perfekt beleuchtete Zielscheibe. Aber wenn er eine Pistole hat, warum hat er sie dann nicht gleich benutzt?
    «Wilbert?», ruft er. Seine Stimme klingt verhalten, unsicher; er räuspert sich und wartet. Der Schnee fällt sanft auf die Fensterscheiben.
    «Wilbert? Ich weiß, dass du mich hörst.» Ohne einen Plan hat er angefangen zu sprechen. Wie tief wurzelt seine Überzeugung, dass Worte über körperlichem Handeln stehen? Wie naiv ist diese Überzeugung? «Wenn du noch hier bist», ruft er, «dann weiß ich, dass du zuhörst. Du brauchst nichts zu sagen. Hör mir kurz zu. Ich habe das Geld nicht. Ich habe es wieder zur Bank gebracht. Wenn es dir um Geld geht …» Er ist außer Atem, die Anspannung ist zu groß. Er schluckt, macht eine Pause. «Wenn es dir wirklich um Geld geht», sagt er dann, «müssen wir mal miteinander reden. Wie zwei erwachsene Männer. Gekämpft haben wir ja schon. Ich bin fertig mit Kämpfen, das kannst du mir glauben.»
    Die Stille ist vollkommen. Sein Gehirn produziert Urschreie und Pistolenschüsse, aber es bleibt still.
    «Wir müssen nicht kämpfen, Wilbert. Wir müssen reden. Über dich, über deine Zukunft. Wilbert?»
    Um seine Worte zu bekräftigen, hockt er sich hin und schiebt das Nunchaku über die Fliesen von sich weg, einen Meter, es ist eine halbherzige Geste. Außerdem vollkommen unbegründet: Er improvisiert. Er hebt seine leeren Hände in Brusthöhe, die Handflächen in Richtung des finsteren Wintergartens.
    «Wilbert, ich habe über dich nachgedacht. Vielleicht glaubst du mir nicht, aber es stimmt. Nicht erst gerade eben, nein, sondern während der vergangenen Jahre. Was sage ich? Von Anfang an habe ich mir Gedanken gemacht. Hörst du mich?»
    Er hört auf zu reden, es klingt pathetisch. Kommt zu spät.
    Trotzdem spricht er weiter. «Ich weiß, dass du mir vieles übelnimmst, das weiß ich. Doch das beruht auf Gegenseitigkeit. Ich nehme dir auch alles Mögliche übel. Aber lass dir gesagt sein, wir sind noch jung, alle beide. Du aber bist noch blutjung. Das kam mir in den Sinn. Als ich so alt war wie du jetzt, Wilbert, da musstest du noch geboren werden.»
    Das stimmt nicht ganz, und er fragt sich, ob das, was er verkünden will, überhaupt wahr ist. Er hat das Gefühl, auf einer Bühne zu stehen und sich selbst von einer Loge aus zu betrachten, und was er sieht, ist ein mäßig guter Schauspieler, ein Mann, der mit einem unwahrhaftigen, schlecht einstudierten Text seine Haut retten will. Gleichzeitig meint er jedes Wort ernst.
    «Alles scheint verloren, aber tatsächlich ist noch nichts verloren. Du bist ein freier Mann, und ich bin dein Vater. Ich wünsche mir, dass du einmal ein normales Leben führst. Und dabei will ich dir helfen. Hörst du? Lass uns das … Elend von vorhin als Tiefpunkt betrachten. Wir sind am Tiefpunkt angelangt. Lass uns –»
    In diesem Moment geht das Telefon. Das Festnetzgerät lässt sein elektronisches Signal ertönen, er bekommt beinahe einen Herzanfall, so sehr fährt ihm der Schreck in die Glieder. Zuerst klingelt die leere Ladestation, und dann, wie ein Echo, klingelt es auch in der Küche – da also liegt der Hörer. Ist Wilbert auch da? Das elektronische Gebimmel dauert ewig. Steht er dort etwa mit dem Telefon in der Hand? Der Anrufbeantworter schaltet sich an, der Lautsprecher ist auf laut gestellt, so wie immer, sie haben nie herausfinden können, warum. Er hört seine eigene tiefe, seltsame, selbstzufriedene Stimme, die ihre Namen nennt und darum bittet, eine Nachricht zu hinterlassen. Der Piepton, dann hört er die Stimme seiner Frau:
    « Hallo, Schatz. Wie geht es dir? Ich dachte, ich ruf dich schnell mal an, um dir für morgen eine gute Reise zu wünschen … aber du liegst schon im Bett. Bestimmt bist du ziemlich erledigt, ich hoffe, du schläfst einigermaßen und steigst morgen ausgeruht ins Auto. Hm, ja … hier ist es schön, es liegt guter Schnee. Hans und Ria sind vorgestern angekommen, wir haben es sehr nett. Aber wir vermissen dich ziemlich. Tja, bis morgen. Mach dir eine Wärmflasche. Bei dir ist es kälter als hier, behauptet Hans. Mach’s gut, mein Lieber. Fahr vorsichtig. »

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