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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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einer Pistole. Wie konnte er nur so dumm sein, ihn laufenzulassen? Er hätte ihn festhalten müssen, hier, in einem Haltegriff, stattdessen lässt er einen Psychopathen aus einem Haltegriff entkommen. «Verdammt», flüstert er.
    Er steht auf – alles tut weh, seine Sehnen scheinen um die Hälfte kürzer zu sein, er ist voller Striemen und blauer Flecken, am Kinn ist die Haut ab, er blutet – und geht durchs Bad ins Schlafzimmer. Was hätte er tun können? Diesen Abschaum bis nach den Feiertagen festhalten? Scharf horchend, den Blick auf die offen stehende Tür zur Diele gerichtet, zieht er so schnell wie möglich seine Unterwäsche und die Anzughose an, vom Stuhl in der Zimmerecke nimmt er den Seemannspullover, immer mit dem Blick zur Tür. Socken an, er zwängt die Füße in die Schuhe. In der Ferne sind Geräusche zu hören, Gerumpel im Wohnzimmer, als würden schwere Gegenstände umfallen – was macht der Idiot? Was kann er selbst tun? Die Polizei anrufen? 112?
    Abgesehen von der Frage, ob er das wirklich will, ob es vernünftig ist, liegen alle Telefone im Wohnzimmer. Seine Schlüssel auch. Er könnte durch die Haustür das Haus verlassen und sich in Sicherheit bringen. Ja, er könnte zum Campus laufen. Oder zu den Nachbarn. Aber was dann? Alles offenbaren? Er bindet die Schnürsenkel, ohne die Tür aus dem Auge zu lassen. Nein. Er beschließt, vorläufig nichts zu unternehmen. Er kriecht aufs Bett und tastet den Fußbodenstreifen auf der Seite seiner Frau ab. Dort liegt tatsächlich ein Hockeyschläger. Jonis alter Schläger liegt dort, seit er wochentags in Den Haag übernachtet. Doch er überlegt es sich anders und geht ins Ankleidezimmer. Das Nunchaku liegt noch zwischen den Schuhen, die aus dem Regal gefallen sind.
    Mit der Waffe in der Hand begibt er sich zur Schlafzimmertür und lugt an der dunklen Spirale der Treppe entlang in die dunkle Diele. Am Ende ist Licht, durch das Milchglas der Wohnzimmertür dringt ein gelber Schimmer. Er wartet, minutenlang. Manchmal meint er, durch sein Keuchen hindurch etwas zu hören, ein leises Rumpeln, Schritte. Er ist ziemlich lädiert, die blaulilafarbenen Flecke an den Stellen, wo ihn der eiserne Griff getroffen hat, schmerzen empfindlich, Rippen sind verstaucht, wenn nicht gar gebrochen. Ihm ist so kalt, dass er in die Hocke geht, um den lauen Fliesen so nahe wie möglich zu sein. Immer wieder lässt er den Ringkampf Revue passieren, den Moment, an dem er weitermachte, dieses unwirkliche Gefühl. Der zuckende, leidende Körper seines Sohnes unter ihm, sein Geruch, die wehrlose Kraft des Arms. Das Knacken.
    Er kann hier nicht ewig hocken bleiben. Das Nunchaku locker in der Hand, geht er so geräuschlos wie möglich zum Wohnzimmer. Auf den Schieferplatten bemerkt er eine unregelmäßige Blutfleckenspur. Er kommt an der Haustür vorüber, sieht, dass er sie abgeschlossen hat: Er kann nicht einmal raus aus seinem Haus, doch, schon, aber wie ein Dieb durchs Fenster. Vor der Wohnzimmertür bleibt er stehen. Mit Eulenaugen späht er durch das dicke Glas, sieht jedoch nichts. Länger warten. Gib ihm Zeit zu verschwinden, vielleicht ist er ja bereits weg, enttäuscht, besiegt, endgültig geheilt von seiner Rachsucht – vielleicht lösen sich alle Probleme doch noch von selbst. Vielleicht sollte er einmal aufhören zu denken.
    An der Klinke klebt Blut, er drückt sie nach unten, Schweiß, der aus seinen Fingern austritt, kühlt auf dem kalten Messing ab. Er gibt der Tür einen Schubs und macht einen Schritt zurück. Von der Diele aus schaut er ins Wohnzimmer, früher einmal der Inbegriff von Geborgenheit. Es ist still, Wärme strömt ihm entgegen. Alle Sessel sind leer, auf den altrosafarbenen Sofas sitzt niemand. Hier und da glänzen Flecken: Blut. Der einzige Ort, von dem Gefahr droht, ist gleich rechts, neben dem Türrahmen. Er macht einen Schritt nach vorne und schlägt kräftig mit dem Nunchaku um die Ecke, der Griff knallt auf die gefugten Steine, Mörtel rieselt auf den Boden. Mit drei großen Schritten steht er im Zimmer und schaut sich um.
    Die Blechschubladen der Kommode an der gegenüberliegenden gemauerten Wand wurden herausgezogen und ausgekippt – saubere Arbeit für jemanden mit nur einem Arm. Der Fußboden davor ist übersät von Papier, Mappen mit Kopien, Stiften, einem Locher, der sein Konfetti erbrochen hat. Er nimmt einen strengen Alkoholgeruch wahr. Der Flaschenschrank an der anderen Wand ist offen, auf den Fliesen liegen zwei zersplitterte Flaschen in

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