Bonita Avenue (German Edition)
teilgenommen hatten, ließ die finanziellen Einzelheiten im Zusammenhang mit dem soeben gekauften Reihenhaus in Deventer über mich ergehen. Da war irgendwas mit einer Genehmigung wegen eines Baums im Nachbargarten, oder aber der Baum stand in ihrem eigenen Garten und sollte gefällt werden oder gerade nicht gefällt werden, und Timo führte deshalb einen Prozess oder führte ihn gerade nicht. Er erwies sich als ein junger Mann, der gut genug zu meiner Schwester passte, um eine auf ideologischen Gründen basierende Abneigung gegen mich zu hegen. Ich war zu wohlhabend, ich sah zu gut aus, ich hatte einen verachtenswerten Freund, McKinsey war verachtenswert. Die Art, wie er konzentriert nickte, wenn ich etwas sagte, oder betont schweigend an seiner schwarzen Manschette fummelte und geistesabwesend eine Nagelhaut zurückschob – alles verriet, dass er zufrieden über die neuntausend Kilometer war, die San Francisco und Deventer voneinander trennten.
Die Abendsonne ließ unsere Schatten auf den Fliesen länger werden, unter uns funkelten die erleuchteten Marina-Häuser wie tausend Teelichte, und immer noch unterhielten wir uns schleppend über nichts. Ich sehnte mich schon nach meinem Bett, als Janis plötzlich anfing, von der schweren Zeit zu reden, die unsere Mutter durchgemacht hatte, vom tristen Verkauf des Bauernhofs ein halbes Jahr nach Siems Tod, und dass sie jeden Tag in ihrer neuen Mietwohnung in Hengelo angerufen habe, auf ein Schwätzchen, tatsächlich aber um zu kontrollieren, ob sie noch am Leben sei.
«Sie hasst mich, weil ich meine Mutter im Stich gelassen habe», sagte ich, als ich kurze Zeit später neben Boudewijn in der Kiste lag. «Sie hasst mich, weil sie nichts von Mike wusste.» Jetzt, da die beiden unten unsere Bettdecken schmutzig machten, spürte ich Wut in mir aufsteigen.
«So etwas denkt eine Schwester nicht», sagte Boudewijn von seiner Betthälfte aus. «Ihr müsst euch nur wieder aneinander gewöhnen. Sie kommt dich doch nicht einfach so besuchen. Du kriegst die eine Sache nicht aus dem Kopf. Ich fand es eigentlich ganz nett. Morgen, nach dem Frühstück, fahren wir nach Chinatown, und da lassen wir Timo dann freien Lauf, inmitten seiner Genossen. Du wirst sehen, sie werden schon noch auftauen.»
Als ich um vier rausmusste, weil Mike weinte, da war mein Zorn verebbt. Schon während ich das Kerlchen beruhigte, wusste ich, dass Bo recht hatte. Es war meine Schwester, die den ersten Schritt gemacht hatte, nicht ich, auch wenn dieser erste Schritt noch nicht so recht erkennbar war. Schon früher, sobald wir beide denken konnten, stritten wir uns über die fundamentalsten Probleme, führten heftige Diskussionen über Kernwaffen, über Geld, über Musik, über den Kapitalismus – Hauptsache, es ging ums Prinzip und es tat weh, Stirn an Stirn, wie zwei unversöhnliche Fischweiber, bevor ganz von allein, oder besser noch durch Zauberhand, eine reuevolle Entspannung einsetzte, die auf das genetische Boot zurückzuführen sein musste, in dem wir beide saßen.
Am Morgen holte ich Mike aus seinem Zimmer und legte ihn zu Boudewijn ins Bett. In einem kurzen Baumwollkleid schlich ich die Treppe hinunter in die Küche. Ein merkwürdiger Impuls stachelte mich an, unseren amerikanischen Bürgertraum so richtig marktschreierisch anzupreisen. Am Freitag, gleich nach Janis’ Anruf, hatte ich mit dumpf pochender Migräne das Silicon Valley hinter mir gelassen und auf der immer wieder langen Rückfahrt in einem Safeway eingekauft, ja war sogar extra zu einem Holland Deli in Pablo Alto gefahren, einem lächerlichen Laden, vor dessen Eingang ein lächerlicher Riesenholzschuh stand, so groß wie ein Mini Cooper. Ich besorgte dort Gouda, Honigkuchen, Rosinenwecken und Spekulatius. Bereits beim Bezahlen hatte ich mich selbst verachtet, weil ich mir derart ein Bein ausriss, doch jetzt war ich froh darüber. Was auch immer Janis in diesem Scheißland über mich berichten würde, an mir sollte es nicht liegen.
Die Morgensonne erwärmte die Firnisschichten auf dem Nussbaumholzboden und den grünen Schränkchen, funkelte auf der Espressomaschine und den Geschirrregalen. Basilikum, Majoran und Lorbeer, die in Töpfen auf der Fensterbank über der Anrichte standen, sogen sich voll Tageslicht. Ich breitete meine Lieblingsdecke über den Tisch aus Rotfichtenholz, überlegte einen Moment, welches Service ich nehmen sollte, alt oder modern, und entschied mich für das deutsche Porzellan, das Boudewijns Großmutter
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