Bonita Avenue (German Edition)

karamellfarbene Strümpfe. Auf dem nächsten Foto sitzt sie auf einem Stuhl, die Hände vor den nackten Brüsten, Hütchen ab, das pechschwarze Haar hängt offen, es wirkt gefärbt, es ist fast blau, so schwarz ist es. Es könnte sich um eine Perücke handeln. Bestimmt. Auf dem Foto danach trägt sie keinen Slip mehr, sie sitzt mit gespreizten Beinen auf dem Stuhl, sie …
    Erneut schiebt er den Laptop von sich weg und lässt sich hintenüber auf die Matratze fallen. Warum will er die Wahrheit überhaupt wissen? Am Montag, wenn er zurück in Enschede ist, kündigt er seinen Zugang zu dieser Website und denkt nie wieder daran. Doch leider ist er so nicht gestrickt. Eine Zeitlang schaut er auf die hölzernen Flügel des Deckenventilators. Du bist durch den Wind. Vielleicht hat Tineke ja recht. Das alles ist eine Folge der Nachricht über Wilbert, nichts als Paranoia. Sei realistisch! Die Möglichkeit, dass Joni dieser Frau ähnlich sieht, ist sehr viel größer als die, dass sie es wirklich ist. Jeder hat Doppelgänger, von ihm selbst laufen vielleicht hundert Doppelgänger herum. Junge Frauen mit glatter Haut ähneln einander wie Wassertropfen. Er setzt sich aufrecht hin und stellt den Laptop wieder auf seinen Schoß. Die Kunststoffunterseite ist heiß. Geh die Sache andersherum an – du bist ihr gegenüber verpflichtet, es von der anderen Seite zu betrachten. Such nach Gegenbeweisen.
    Er vergrößert das Foto und landet am Rand, mitten im Bücherregal. Er kann die Beschriftung der Buchrücken lesen. Englischsprachige Taschenbücher und Hardcover, Mary Higgins Clark, Harold Robbins, Barbara Taylor Bradford, Tom Clancy, Danielle Steel, John Grisham, Sue Grafton. Schund. Darunter stehen größere Bücher, ebenfalls englischsprachig, Bücher über Gärten ( The Practical Rock & Water Garden ), Kochbücher ( Eating by the Book; what the Bible says on Food, Fat, Fitness & Faith ), Ratgeberzeugs ( Narcissism; Denial of the True Self ). Na komm schon! Das ist ein original-amerikanisches Bücherregal. Dieses kreuzdumme Regal steht in Utah. Gehört einem völlig anderen Mädchen. Was für eine Linda ist das überhaupt? Die wohnt noch bei ihren Eltern, nein, sie wächst bei ihrer tauben Großtante auf, und das ist das in Vergessenheit geratene Mansardenzimmer. Mit dem Cursor zieht er das Foto nach oben, sodass er das unterste Regalbrett sehen kann. Hinter dem vergrößerten schlanken Fußgelenk und dem Stuhlbein stehen vier Bücher in wiedererkennbarem Schwarz-Gelb: Beekeeping For Dummies ; BBQ Sauces, Rubs & Marinades For Dummies ; Jazz For Dummies …
    Jazz For Dummies . Ein brandneuer Gedanke drängt sich in sein Hirn: Mit wem macht diese Schnepfe ihren koketten Schweinkram? Er zoomt aus, schaut sich das ganze Foto noch einmal genau an, klickt ein paar Aufnahmen weiter: Sie sind professionell gemacht, sind fast … perfekt. Das kriegt sie nicht allein hin, selbstverständlich kriegt sie das nicht allein hin. Mal angenommen – nur einmal angenommen, das Mädchen ist Joni, dann muss … dann macht … dann ist der Kerl, mit dem er ein paarmal pro Woche auf der Matte liegt, verantwortlich für … Jetzt muss er aufhören. Joni und Aaron?
    Er klickt weiter und verweilt bei einem Foto, das in dem kajütenartigen Zimmer aufgenommen wurde. Abgesehen von einem grünen Bikini-Oberteil (kennt er Jonis Bikinis? Nein, natürlich nicht), liegt sie nackt auf einem runden Bett mit einer roten Decke. Im Hintergrund erkennt er konkave Stauschränke aus Holz, eine durchsichtige Tür, hinter der sich wahrscheinlich eine Duschkabine befindet, weiter oben: altrosafarbene Bullaugen. Das schwarze Haar ist jetzt hochgesteckt (lässt sich eine Perücke hochstecken?), sie berührt mit der Zungenspitze die Oberlippe und schaut gleichgültig in die Kamera. Auf dem nächsten Foto kniet sie vor dem Bett, die linke Wange auf dem cremefarbenen Teppich, Hohlkreuz, die Brüste auf dem Boden. Mit gespreizten Beinen, die rosafarbenen Fußsohlen zur Linse hin, schiebt sie ihr Gesäß nach hinten, wobei sie die Kamera nicht aus den Augen lässt, links, neben ihrem Gesicht, ein paar silberne Stöckelschuhe. Die Schärfe ihres Gesichts: Er sieht Mascarakrümel an ihren Wimpern kleben. Die schamlose Geschmeidigkeit, mit der sie ihren Hintern präsentiert und ihn ansieht, der offene, niederschmetternde, gleichgültige Blick. Ein Foto später hält sie mit Mittel- und Zeigefinger ihre glattrasierten Schamlippen auseinander, auf dem danach ist ein Dildo zu