Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
Vom Netzwerk:
Anblick. Mit zitternden Fingern öffnete er die Nachricht.
 
Aaron, ja, das ist auf jeden Fall lange her. Ich hoffe, du hast mich nicht als jemanden in Erinnerung, der schnell erschreckt ist. Aber ich muss zugeben, dass ich über deine erste E-Mail ziemlich erstaunt gewesen bin. Du kannst dir bestimmt denken, dass ich mir des Öfteren wegen deiner Gesundheit Sorgen gemacht habe. Zum Glück war es eine vorübergehende Depression?
Außerdem verstehst du sicher, dass ich schwer einschätzen kann, ob du meine Mutter getroffen hast oder nicht. Ich kann nur sagen, dass ich schon seit Jahren keinen Kontakt zu ihr habe. Und daher: Nein, ich wohne nicht in Brüssel, sondern seit inzwischen fünf Jahren in Los Angeles. Ich arbeite für eine Firma, die Frisbeescheiben und Surfbretter herstellt. Und ich bin auch nicht verheiratet. (In San Francisco habe ich allerdings eine Weile mit Boudewijn Stol zusammengewohnt, vielleicht erinnerst du dich an ihn.)
Ja, wenn man es so betrachtet, hat die Feuerwerkskatastrophe einiges in Gang gesetzt. Für dich, für mich und für meinen Vater. Aber Aaron, weil ich deine empfindsame Seele ein wenig kenne: Vergiss nicht, dass jemand, der Selbstmord begeht – das Wort besagt es schon –, diese Entscheidung selbst trifft. Frag mich nicht, warum, aber Siem wollte es so.
Ich denke nur sehr selten daran. Und am liebsten gar nicht.
Alles Gute,
Joni
     
    Er rauchte zwei Zigaretten. Dann ging er, vom Sitzen steif geworden, ins Mittelzimmer, Stuckleisten und -rosetten an der Decke, aber keine Taube zu sehen. Selbstmord ? Von der überwältigenden Freude, die er empfunden hatte, war nichts mehr übrig. Aus der obersten Lade der Kommode holte er ein Röhrchen Oxazepam, das er mit ins Badezimmer nahm. Er steckte sich drei Tabletten in den Mund und schluckte sie mit einem halben Becher kalkigen Wassers runter. Also doch .
    Es wurde Abend. Hinter zugezogenen Vorhängen versuchte er sich im Rekonstruieren, spielte Variationen des Gedankens, dass er weniger Sigerius’ Tod als vielmehr eine Tragödie verpasst hatte, kurz und heftig durch. Eine Katastrophe. Ein verschwörerisches «man» – Personen, Organisationen, Parteien, Syndikate, Geheimdienste? – hatte ihn hinters Licht geführt, belogen, betrogen. Die Bastarde hatten ihm unverzichtbare Informationen vorenthalten. Siem Sigerius, zu jenem Zeitpunkt frischgebackener Bildungsminister, sein Ex-Schwiegervater sozusagen, verdammt noch mal, begeht Selbstmord, und niemand berichtet ihm davon? Er fragte sich alles Mögliche, zu viel, zu schnell, zu intensiv. Welche Rolle hatte dabei das Twentse Tulp gespielt? Wer hatte seine wenigen Besucher mundtot gemacht? War das, rechtlich gesehen, ethisch gesehen, überhaupt erlaubt? Geheime Konferenzen, bei denen sich Psychiater absprachen, Patient Bever die Wahrheit zu verheimlichen? Wurden sie nicht dafür bezahlt, ihn mit der Wahrheit zu versöhnen ? Er hörte sie tuscheln, die Weißkittel: Kein Wort gegenüber dem wahnsinnigen Aaron, Zeitungen von ihm fernhalten, der Kahlkopf hat Fernsehverbot.
    Ein paar Stunden lang saß er regungslos in einem der roten Ledersessel im Wohnzimmer und ließ, die Augen geschlossen, die neue Realität auf sich einwirken, in die Jonis E-Mail ihn versetzt hatte, wehrte sich mit aller Kraft gegen allzu erhitzte Argumentationsketten, kämpfte, um nicht noch einmal im psychotischen Ozean zu versinken. In dem Maße, wie die Stunden verstrichen, beruhigte er sich einigermaßen, die Paranoia schwand, der Gedankenstrudel wurde weitläufiger und träger. Na komm, sei realistisch. Ein ganzes Irrenhaus, das Theater spielt, um Aaron Bever vor schlechten Nachrichten zu bewahren? Es musste plausiblere Szenarien geben.
     
    Was war von Elisabeth Haitink zu halten? Seiner Vertrauten, der Dirigentin seiner Genesung, der Therapeutin, die ihn durch den Wahnsinn gelotst hatte. Gleich in ihrem ersten Gespräch hatte er sie auf den Schild gehoben. Sie hatte ihre Kiefer verdammt fest aufeinandergepresst. Im Twentse Tulp war sie die Einzige gewesen, der er voll und ganz vertraut hatte, vielleicht weil sie ihn unveränderlich als den ganz normalen, intelligenten jungen Mann, der er auf Teufel komm raus zu sein glaubte, behandelte, im Gegensatz zu den abgestumpften Pflegern, die ihm Blut abnahmen oder das Essen brachten und in deren Augen er sich als Idiot in einer Badewanne gespiegelt sah.
    Frühling 2001 – er schätzte, dass Haitink auf die Sechzig zuging. Inzwischen musste sie aufgehört haben zu

Weitere Kostenlose Bücher