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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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selbstsicheres Gekeife nervös.
    «Das tut mir leid, Herr Bever», sagte sie, plötzlich gefasst. «Mein Beileid.» Sie ließ ein zweites Schweigen folgen, mühsam erbrachten Respekt, den er so lange wie möglich währen ließ. Sie räusperte sich. «Warum haben Sie die Schule nicht informiert? Sie hätten mich anrufen müssen.»
    Sie schien ihm in etwa sein Alter zu haben, vielleicht war sie sogar jünger. Sie stand einer großen Grundschule vor, deren Schüler zumeist einen Migrationshintergrund hatten, einer typischen «schwarzen» Schule in einem verarmten Teil von Sint-Jansmolenbeek. Bei der Vorbesprechung und auch am Fototag selbst hatte er sofort durchschaut, dass sie zu den Nononsense-Idealisten gehörte, mit denen er öfter zu tun hatte. Als die Klassen mit düsteren, brüllenden und Unsinn machenden afrikanischen Kindern an seiner Kamera vorüberzogen, wuchs seine Bewunderung für ihren Mut und ihr Verantwortungsgefühl. Alle, mit denen er auf Dorfschulhöfen außerhalb der Stadt sprach, hatten eine Meinung zu den «schwarzen» Schulen in Brüssel, doch diese Frau, das musste er ihr lassen, stand mit beiden Beinen im Dreck. Trotzdem versetzte sie ihn in Rage: die rahmweiße Pagenfrisur, das große asexuelle Gesicht, Schuhe mit Klettverschlüssen, an denen er erkennen konnte, dass sie sich allmählich von der Erwachsenenwelt entfernte. Sie ar-ti-ku-lier-te übertrieben, wiederholte alles, was sie besser wusste, mindestens dreimal, im Gespäch mit ihm, aber zweifellos auch auf Elternabenden.
    Er sagte: «Ich habe zwei extrem traurige, hektische Wochen hinter mir. Mein Vater war mein Kompagnon. Ich habe mein Studio für eine Weile schließen müssen.»
    Über den Eindruck, den er hinterlassen hatte, dachte er lieber nicht nach. Er hatte die Kinder am Morgen nach seiner Begegnung mit Tineke fotografiert, und schon damals spukte es mächtig in seinem Kopf. Diesen Schluss zog er aus der Tatsache, dass er im Ordner «Gesendete Nachrichten» auf eine haarsträubende und wie im Fieberwahn geschriebene E-Mail gestoßen war, die er offensichtlich an Joni Sigerius verschickt hatte. Wenn er seinen Text richtig verstand, dann hatte er gleich nach der Fotosession in der Efeu-Schule einen irrwitzigen Fußmarsch durch Brüssel gemacht; zum Glück hatte Joni auf seinen Bericht nicht geantwortet – wenn sie ihn denn überhaupt bekommen hatte. Vorsichtshalber hatte er gestern Abend eine kurze Entschuldigungsmail in das schwarze Loch geschleudert, und die Folge war, dass er nun schon den ganzen Nachmittag auf eine Antwort wartete, die vielleicht nie eintreffen würde.
    «Sie haben aber recht», sagte er. «Ich hätte anrufen müssen.»
    Sie atmete hörbar ein. Ihr Rektorinnenbüro roch nach Wachsmalstiften und war vollgestopft mit Kinderbüchern. Sie las Kinderbücher, ausschließlich, und darum wuchsen bei ihr Kiefer und Schädel immer weiter. Sie verdarb ihren Intellekt mit Büchern für die Allerkleinsten, so wie man sich die Augen verderben kann, indem man bei zu wenig Licht liest, oder die Ohren durch eine zu geringe Lautstärke.
    «Warum hast du die Eltern von Juliette Jalabert angerufen?»
    «Wie bitte?» Das «du» jagte ihm einen Schrecken ein. Und auch die Frage. Um dieses Mädchen, daran erinnerte er sich, ging es in seiner E-Mail an Joni. Hatte er Fremde belästigt? Wovon redete sie?
    «Du hast mich schon verstanden. Juliettes Vater ist hier gewesen. Du hast diese Leute dreimal mit seltsamen Fragen belästigt.»
    Wie ein Polizeihund, der nach einer Leiche sucht, durchbuddelte er sein Gedächtnis. Der Vater von Juliette Jalabert … War ihm etwas entfallen? Er nahm an, dass mindestens ein paar Tage komplett in seiner Erinnerung fehlten, wie schon so oft nach einem Anfall. Seit der BMW mit Tineke Sigerius auf dem Beifahrersitz aus seinem Leben hinausgefahren war, herrschte in seinem Kopf Krieg.
    «Entschuldigen Sie», sagte er, «aber ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden.»
    «Dann denk darüber einmal gründlich nach», sagte sie. «Und den Auftrag kannst du vergessen. Der wird annulliert.»
    «Aber …»
    «Und ich sage es nur ein einziges Mal: Kein Foto unserer Schüler auf deiner Homepage.»
    Mit einem Seufzer legte er auf und drückte sich mit den Füßen kräftig vom Schreibtisch ab. Sein Stuhl rollte ins Zimmer. Er zündete sich eine Zigarette an. Auf dem Bildschirm seines iMac war eines der Klassenfotos aus der Scheiß-Efeu-Schule zu sehen, das er am Morgen routiniert bearbeitet hatte. Unter den

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