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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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den Nachnamen seiner Frau angenommen hatte. «Im italienischen Parlament macht mein Vater einen auf Faschist», sagte er, «das ist der Grund dafür, Joni. Wenn du keinen zwingenden Grund hast, dich von deiner Familie abzuwenden, dann solltest du das auch nicht tun.»
    Ich mochte ihn. Ein Jahr lang unterhielten wir uns und schoben uns aneinander vorbei, reden und uns aneinander vorbeischieben, bis ich eines Nachmittags meine Arme um seinen mageren Oberkörper schlang. Ich presste meine Brüste gegen seinen Körper, der durch Selbstbestimmung, Eigensinn, durch die Sehnsucht nach Abenteuer, Echtheit und Unabhängigkeit geharnischt war, dachte ich mit meinem verliebten Backfischkopf – durch Ungebundenheit aus Prinzip, dachte ich außerdem, denn die harte, sehnige Außenseite schien mir von innen zuckersüß vor Vorläufigkeit und dem Willen fortzugehen. Kein Mann der Worte. Er hob mich hoch und küsste mich. Er will mich, dachte ich, und wenn ich ihn darum bitte, dann hängt er morgen ein Zuverkaufen-Schild in seinen spießigen Laden und nimmt mich nach New York oder Rio de Janeiro mit.
    Er lachte mich rundweg aus. Nicht ein pomadisiertes Haar auf dem Kopf. Ob mir klar sei, wie sehr er seine Turnlehrerin liebe? Und sein Töchterchen? «Aber», sagte er, «wenn du mir versprichst, dich nicht zu verlieben, dann können wir den Laden während der Mittagszeit schließen.» Es war nach sechs, ich rechnete gerade die Kasse ab. «Denk darüber doch mal in Ruhe nach.» Tja, nachdenken musste ich nicht, wie eine Zündschnur brannte ich auf den nächsten Mittwochmittag zu. Mindestens zwei Jahre lang verbrachten wir die allwöchentliche Mittagspause auf dem schwarzsamtenen Ikea-Zweisitzer hinten im Lager, eine hitzige Stunde mitten in der Woche, die wie ein Schuss Öl in einem Wasserglas nach oben trieb und, selbst als ich mich mit Aaron zusammentat, wie eine Blase oben auf unserem tagtäglichen Leben weiterschwamm. Immer noch sprang ich an manchen Tagen ein, ein paarmal im Jahr, und noch immer schloss er um zwölf die Ladentür.
    In der Waschküche, Aug in Aug mit meiner Mutter, wusste ich nicht, wie ernst Ennio tatsächlich verletzt war, doch schon der Gedanke, dass seine glatte karamellfarbene Haut, seine leicht nach innen gewölbte Brust, seine herrlichen Beine und, Gott bewahre, auch sein markantes Gesicht durch brutale Gewalt, durch herumfliegende Trümmer, durch extreme Hitze zerstört waren, ließ sich nicht aushalten. «Aber wie ist das möglich?», fragte ich meine Mutter schluchzend. «Was wollte er in Gottes Namen bloß in Roombeek?» «Ich weiß eine ganze Menge, Liebes», sagte sie, «aber alles weiß ich nicht.»
     
    An der Coldwater Canyon Avenue zog der restliche Tag in einem immer dunkler werdenden Taumel vorbei. Ich verlor mich in Erinnerungen an Enschede, an Aaron, Ennio, meinen Vater, an die gesamte Twenter Armada, die ich hinter mir in Flammen hatte aufgehen lassen. Obwohl ich Hände voll damit zu tun hatte, die Übereignung zu regeln – Telefonate mit dem Notar, mit den Leuten von Sotomayor, treffen wir uns in L. A. oder nicht in L. A. (einen Moment lang drohte es doch noch Dallas zu werden), im Beisein von Sotomayor oder nicht in seinem Beisein, und vor allem: wann –, ging mir immer wieder Enschede durch den Sinn, flocht sich während des gemeinsamen Mittagessens im vermoderten Gartenhaus mitten durch die Gespräche, die ich mit den Kollegen führte. Nach dem Mittagessen formulierte ich zweimal eine Antwort an Aaron, E-Mails, die ich sogleich wieder verwarf. Was brachte es mir? Vielleicht war mein Zweifeln auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans spürbar, denn um elf nach drei traf eine zweite Nachricht ein.

4
    «Wenn Sie es unbedingt wissen wollen», sagte er barsch, «mein Vater ist gestorben. Völlig unerwartet.»
    Die Frau, die sich als Rektorin der Efeu-Schule vorgestellt, aber keinen Namen genannt hatte, sodass er sich schon während des ganzen Telefongesprächs daran zu erinnern versuchte, wie sie hieß, kriegte von seiner Lüge einen Schreck. Einen Moment lang hörte er nur das Rauschen ihres Sterblichkeitsbewusstseins. Ja, davor fürchteten die Menschen sich, vor dem Tod. Er hatte ihre schrille Stimme schon dreimal auf dem Anrufbeantworter vorgefunden, immer schneidender und kälter, und obwohl er sich eingestand, dass sie vollkommen recht hatte – es stimmte, dass er Verabredungen nicht eingehalten hatte, ja, er hätte die Fotos schon längst liefern müssen –, machte ihn ihr

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