Bonita Avenue (German Edition)
Wäschekorb gestopft. Mit Bedauern hatte er Isabelles leichtes Parfüm abgeduscht und war neben Tineke ins Bett gekrochen. Auch damals hatte er wach gelegen. Die Ereignisse waren zu aufregend, um einschlafen zu können. Was durch seinen Körper wogte, war so viel glückseliger als das Glücksgefühl, das andere, legale, augenscheinlich wichtigere Ereignisse ihm verschafft hatten, dass er zum ersten Mal in seinem Leben ernsthaft an deren Sinn zweifelte. Wozu die zerebrale Zucht, die er sich selbst ein halbes Leben lang auferlegt hatte? All die einsame Hingabe! Er stellte sich vor, wie Isabelle in diesem Moment irgendwo auf dem Campus schlief, und plötzlich hätte er sich vor den Kopf schlagen können angesichts so viel pflichtgetreuer Sublimierung. In einem Anflug von Schuldbewusstsein legte er eine Hand auf den komatösen Berg neben sich. Nach dem zerbrechlichen Körper dort in der Gasse ähnelten Tinekes Rücken und Hüften dem noch warmen Kadaver eines Nashorns. Stundenlang wälzte er sich von einer Seite auf die andere und malte sich aus, dass der schlanke, warme Körper Isabelles sich an ihn schmiegte, und jedes Mal, wenn er sich umdrehte, war er erregter als zuvor.
Und auch in dieser Nacht war er aufgestanden und die Treppe zu seinem Arbeitszimmer hinaufgegangen, diesmal in einem Morgenmantel und mit dicken Skisocken an den Füßen. An seinem eiskalten Schreibtisch sitzend, tat er etwas, was seiner Natur zuwiderlief: Er simste Isabelle mitten in der Nacht. Er schrieb ihr, dass er es herrlich gefunden hatte und dass er mehr wollte. Es war fast halb vier, und er schickte einer Grundstudiumsstudentin eine SMS. War er noch ganz bei Trost?
Zu seinem großen Erstaunen bekam er sofort eine Antwort: Auch sie habe herrlich gegessen. Pardon? «Scherzkeks», simste er breit grinsend zurück, «hab ich dich wach gesimst?» Nach zwanzig Minuten, die sich wie eine Woche am Nordpol anfühlten, antwortete sie, dass sie im Frisörsalon «abfeiere». Im Frisörsalon abfeiern? Er brauchte ein paar Sekunden, um das Kryptogramm zu entschlüsseln: Der Frisörsalon war eine Diskothek hinter dem Oude Markt. Der Schwall Eifersucht, der durch seinen Körper schoss, resultierte nicht aus der Disko und auch nicht aus dem überscharfen Bild, das er sich von Isabelle auf der schweißigen Tanzfläche machte, sondern aus der Erkenntnis, dass seine asiatische Geliebte nach ihrem intimen Essen noch auf die Piste gegangen war. Er stellte sich vor, wie sie ihr Make-up nachgebessert und ihr Ausgehkleid angezogen hatte, um mit dem Rad nach Enschede zu fahren. Herr im Himmel!
Er riss sich zusammen und simste zurück, sie sei bestimmt eine gute Tänzerin. Eine halbe Stunde lang wartete er vergeblich, und danach war er derart durchgefroren, dass er nach unten ging und im Wohnzimmer ein Glas Whisky trank. Wieder im Bett, legte er sein auf lautlos geschaltetes Telefon neben sich auf den Boden und schaute alle zwei Minuten nach, ob sie sich nicht gemeldet hatte. Nach anderthalb Stunden fiel er in einen schlechten Schlaf.
Am nächsten Nachmittag erhielt er auf seinem Computer im Verwaltungstrakt eine formelle Abschiedsmail. Sie habe lange darüber nachgedacht, aber sie könne «es einfach nicht mehr ertragen». Bisher sei es ihr gelungen, den Gedanken an seine Frau beiseitezuschieben, aber als Tatsache bleibe bestehen, dass er ein «Schwindler» sei, ein «Betrüger», ein «Ehebrecher», ein «treuloser Mann». Jetzt, nachdem sie «intimer» geworden seien, stelle das für sie ein «unüberwindliches Problem» dar. Es tue ihr leid. «Schick mir keine Mails und SMS mehr.»
In den Tagen danach kreiste er um seinen Computer, als hätte er nach vierzig Jahren mit dem Rauchen aufgehört. Jede Faser seines Körpers, all seine Gehirnzellen verlangten nach Kontakt. Abends, in seinem Haus, hörte er SMS-Nachrichten ankommen, die es gar nicht gab. Sechsunddreißig Stunden nach ihrer Unheilsmail, um kurz vor vier am Nachmittag, setzte er mit erhöhter Herzfrequenz eine Nachricht auf, «betrachte die SMS als nicht verschickt», tippte er und weiter nichts. Nachdem er die kurze Zeile gesendet hatte, verachtete er sich selbst dafür, hoffte aber zugleich, dass sie darüber lachen und ihre Meinung ändern werde. Während der letzten Stunden seines Arbeitstags starrte er wie ein Angler auf den Posteingang, alle paar Sekunden die Seite aktualisierend, bis es um ihn herum vollkommen dunkel war. Der niedrige Verwaltungstrakt, an dessen Ende sich sein geräumiges Büro
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