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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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gelbe Geschirrtuch, das er dort liegen sah, ins Spülwasser tauchte und dem Plappermaul den nasskalten Lappen in einer sauberen Parabel an den Kopf warf: Kaffee, bitte.
    «Ein bisschen Angst hatte ich schon», antwortete er Janis. «Trotzdem sage ich zu dem Assi, denn es konnte nur ein Assi sein: ‹Doch, doch, Sie waren gerade an meinem Taxi und haben das Fenster demoliert.› Der Kerl schaut sich um und sagt dann: ‹Ich geh jetzt essen. Erzähl nich so’n Scheiß. Ich werd jetzt in Ruhe was essen.› Und er schiebt das Tablett ein Stück weiter. Das Ganze in primitivstem Venloer Platt, einer Sprache, die für Assis wie gemacht ist.»
    « Das stimmt», sagte Joni trocken. «Von Assis, für Assis.»
    Aaron war beim heroischen Teil der Geschichte angelangt. Abgesehen davon, dass er sich die Heldenhaftigkeit seines Bruders zueignete, polierte er sie auch noch auf. «Ich beuge mich vor zu diesem Schweißkopp», sagte er also, «und zische ihm ins Ohr: ‹Dafür wirst du blechen.› Es war an der Zeit, zum Du überzugehen. Der Kerl dreht sich mit einem Ruck um. ‹Weißte überhaupt, mit wem du sprichst, Wichser?›, brüllt er. Irre laut. Auf einmal war es totenstill in dem Raum. ‹Ich bin Manus Pitte› – wieder in Megaphonlautstärke. Ja, das sagte mir durchaus was. Pitte, das ist eine berüchtigte Familie in Venlo, und nicht etwa wegen unangenehmer Essensgerüche. Ein zügelloser Clan, von dem die Hälfte gesiebte Luft atmet – lockere Händchen, Drogen, Prostitution.»
    «Wir wissen genau, was du meinst.» Sigerius.
    «Du vielleicht.» Joni.
    «Auch Joni weiß genau, wen du meinst.»
    Tinekes Stuhl knarrte, Aaron sah sie an. Sie saß nach hinten gelehnt und betrachtete ihn mit kaltem, distanziertem Blick.
    «Ehe ich etwas erwidern kann, schiebt dieser Pitte sein Tablett einen halben Meter zur Seite, eine der Halbliterflaschen Bier fällt zu Boden, peng, überall Scherben.»
    «Wieso Bier in einem Krankenhaus?» Joni.
    «Beschwer dich beim Kundenservice. Pitte winkelt seinen Oberkörper um sechzig Grad an, nicht nach vorn, sondern zur Seite, in der Taille also, trotz der Unmengen von Frikadellen und Saté-Spießen ist der Kerl ein Berg aus Sehnen und Muskeln, und während er so dasteht, wie ein Turner – er stand nur eine Sekunde so, aber diese Körperhaltung vergesse ich im Leben nicht –, packt er mit der einen Hand mein Hosenbein, genau über dem Knie, und mit der anderen den Ärmel meiner Fahrerjacke. Grunzend macht er sich daran, mich in Richtung Ausgang zu zerren. ‹Los, raus›, brüllt er, ‹raus, dann kriegste was aufe Fresse.› Immer wieder, quer durch den mucksmäuschenstillen Eingangsbereich. ‹Los, raus, dann kriegste was aufe Fresse.›»
    «Lass uns nach draußen gehen. Kämpfen.» Joni, Dolmetscherin, fünfundzwanzig, unverheiratet.
    «Du hast vorhin behauptet, dass du Abschaum sofort erkennst», sagte Sigerius. «Ich auch, egal, wo ich bin, ob in Rotterdam oder Shanghai. Auch früher schon. Afrikaner, Russen, Asiaten, vollkommen gleichgültig – ich erkannte es sofort. Aber woran? Selbst wenn so ein Kerl pudelnackt vor mir steht, sehe ich es. Und du?»
    «Ich glaube, ich habe noch nie nackten Abschaum gesehen.»
    Sigerius grinste. «Ich schon», sagte er. «Fast ein Jahr lang jeden Tag.»
    «Siem.» Tineke. Sie nannte ihn nur selten bei seinem Vornamen.
    Sigerius versetzte mit seiner Rechten der Luft leichte Schläge, als wäre sie ein Rücken. «Halt dich da raus», sagte er.
    Joni stand auf und verließ den Tisch. «Ich glaube, ich muss mal. Hierauf hab ich keine Lust.»
    Später, im Nachhinein, mit dem Wissen um den desaströsen Ausgang, lokalisierte er darin den Wendepunkt. Er erinnerte sich haargenau, dass Sigerius nicht darauf einging, dass er seine ältere Tochter völlig ignorierte. Stattdessen nahm er seine Serviette, schob den messingfarbenen Serviettenring herunter und knallte ihn mit einem Schlag auf den Tisch, zwischen sich und Aaron. Um seinen Mund lag ein gebietender Zug, sein Blick war düster und fanatisch. «Stell dir diesen Pitte einmal nackt vor», sagte er. «Erkennst du es dann?»
    Er denke schon, antwortete er, es sei vermutlich etwas Angeborenes. «Ja. Man erkennt es daran, wie diese Typen gucken. Sie gucken dumm und aggressiv zugleich. Nein … Schlau und dumm. Geht das?»
    «Wie man guckt, ist auch eine Frage der Erziehung», sagte Sigerius. «Oder nicht, Aaron? So weit sind wir ein Jahrhundert nach Lombroso doch wohl. Wie sind die Mengenverhältnisse, darum

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