Bonita Avenue (German Edition)
kannte sie in- und auswendig. «Der Kerl», fuhr er fort, seiner selbst auf einmal sicherer als zuvor, «ging auf Tretern aus schwarzem Leder und hatte weiße Socken an. So gehen Venloer Assis auf die Piste, ich wusste sofort, dass er ein unangenehmer Typ war. Echten Abschaum erkennt man sofort.» Er erzählte, dass in seinem Wagen das Fenster auf der Beifahrerseite wegen der herrlichen spätsommerlichen Temperaturen ganz geöffnet gewesen sei. Er habe es für besser gehalten, das Fenster zu schließen: Unwetter im Anzug. «Ich halte also den Knopf gedrückt. Aber das Fenster schließt sich nur langsam, und kurz bevor es ganz zu ist, umfasst der Kerl mit den Fingern den Rand und spuckt grünen Rotz auf die Scheibe. Er hängt sich mit seinem ganzen Gewicht daran. Während wir uns anschauen, halte ich den Knopf gedrückt. Er brüllt: ‹Was willste? Was willste?› Einen Moment lang sind seine Finger eingeklemmt, doch dann zieht er die Scheibe mit einem einzigen langen Ruck nach unten.» Mit beiden Händen ahmte Aaron, das Gesicht zu einer bösen Grimasse verzogen, den Vorgang nach. « Krack , macht der kleine Elektromotor. Der Kerl steckt seinen Oberkörper in den Bus und packt mich an meinem Firmenschlips.»
«Was für ein widerlicher Kerl», sagte Tineke. Sie war immer noch dabei, ihren Teller vollzuschaufeln, und wirkte desinteressiert. Sigerius lauschte angespannt, das war wichtiger. «Ein widerlicher Kerl?», sagte er und grinste, «es ist doch nichts passiert?»
«Papa, spiel dich nicht so auf», sagte Janis, «du hättest dir auch in die Hosen gemacht.»
«Ich hätte in seine Hosen gemacht», antwortete ihr Vater. Aaron schaute zu Sigerius hinüber, innerlich zufrieden, so hatte er ihn die ganze Woche über noch nicht erlebt, für einen Moment erlöst von seinem reizbaren Ernst. Das war sein Kämpfernaturell, sofort drauflos, kurzer Prozess, vollkommen atypisch für sein Alter und seine Position. Janis schüttelte verächtlich ihren kurzhaarigen Kopf.
«Aber was macht der Kerl? Er wickelt sich meinen Schlips um die Hand und holt mit dem freien Arm aus», berichtete er weiter. «Jetzt schlägt er mir knallhart ins Gesicht, dachte ich. Ich sah mich schon in Richtung Notaufnahme stolpern. Aber er schlägt nicht. Er brüllt etwas ziemlich Unflätiges und drückt sich mit der Faust von meinem Kehlkopf ab. Gleitet wieder zum Fenster hinaus, geht zurück zu seinem Wagen und fährt auf den Parkplatz des Krankenhauses.» Er war erstaunt über seine sichere Wortwahl, er fühlte sich unglaublich viel besser als zehn Minuten zuvor.
«Was hat er gebrüllt?» Sigerius hielt die Porzellansauciere in der Luft, fünf Zentimeter über dem Damast, ein Gespensterschiff. Konzentriert sah er Aaron an, beschrieb dabei auf der Innenseite seiner grau gestoppelten Wange mit der Zunge Kreise.
«Behalt’s für dich», sagte Joni. «Ich glaube, ich will es gar nicht wissen.»
Aaron sah sie kurz an, ihr Gesicht bedeckt von einem Firnis der Missbilligung. Vielleicht meinten die anderen, ihr verärgertes Stirnrunzeln gelte ihrem Vater. Aber nein. Das Luder der Familie schämte sich seinetwegen, schämte sich für den Mann, der zu ihr gehörte, machte sich Sorgen wegen der Show, die er diesmal abziehen wollte. Theoretisch war eine Woche wie diese besonders dafür geeignet, ihren Eltern zu zeigen, was für ein nettes, fröhliches Paar sie waren. Das konnte sie normalerweise gut, bei Papa und Mama heile Welt vortäuschen, so tun, als ob sie gar nichts zu verbergen hätten. Normalerweise fand sie das Verbergen von Dingen, das Theaterspielen, das Lügen mit Flair an sich schon wunderbar. Nicht aber jetzt. Jetzt verschanzte sie sich im mütterlichen Schoß, sie beobachtete ihn mit den Augen ihrer Eltern, und was sie sah, war ein eifersüchtiger Trottel, der nachts durchs Haus ihrer Jugend schlich.
«Na los, nun sag schon», forderte Sigerius.
Auf eine seltsame, hyperbewusste Art spürte Aaron, dass er auf der guten der beiden Kehrseiten seiner Müdigkeit angekommen war: Die Temazepams der letzten Nacht waren aus seinem Blut heraus, er fühlte sich luzid. «Zuerst spuckt er mich an, wieder so ein grüner Batzen Schleim, jetzt auf mein Ohr. Er brüllt: ‹KAHLE FOTZE!› Ohrenbetäubend laut. Die Radfahrer an der Ampel drehen sich um. Und schnell wieder zurück.»
«Das meinte ich», sagte Joni. Sigerius schüttelte schnaubend den Kopf.
«Und während ich so dasitze, mit inzwischen drei hupenden Autos hinter mir, werde ich wütend.
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