Bonita Avenue (German Edition)
Schiffswerft, heimlich.
Mike begann zu weinen. Ich schlüpfte zwischen den glänzenden Stoßstangen hindurch auf den verhältnismäßig breiten Gehsteig und legte eine Hand aufs Gartentor; splitterig, noch immer. Auf dem kargen Rasen ein Spielhaus aus Plastik mit ausgeblichenem Bugs-Bunny-Aufdruck, ein Fahrrad mit Kindersitz an einem der Pfosten des Vordachs – dennoch sah der Garten sehr viel besser aus als damals, als wir hier wohnten. Was für ein Chaos herrschte da! Eine Mutter mit einer klappbaren Black & Decker-Werkbank. Alte Schränkchen im Garten, Spanplatten, Sägemehl, Werkzeug, Arbeitshandschuhe. Binnen kürzester Zeit kapierten die Kinder in unserer Straße, dass sie hier richtig waren, bei Joni und Janis war alles erlaubt. Im Haus hatte meine Mutter ein Glas Lakritze stehen, Hollandse Drop, die wir von Oma und Opa geschickt bekamen. Den ganzen Tag über, auch wenn niemand da war, kamen Kinder zu uns und gingen schnurstracks zu dem Weckglas. Meine Mutter wusste, wie man amerikanische Straßenbengel zufriedenstellt.
Boudewijn beruhigte Mike, seine Stimme klang überraschend nahe. «Klingel doch einfach mal», rief er durchs offene Fenster. «Vielleicht darfst du dich drinnen ja mal umsehen.»
Die Jalousie in der linken Gaube ging hoch. Eine kräftige Latina mittleren Alters öffnete das Fenster, streckte einen Arm nach draußen und schüttelte ein Staubtuch aus. Sie sah mich, ich nahm die Hand vom Gartentor und lächelte. Sie nickte kaum sichtbar, spähte kurz die Straße entlang und machte das Fenster wieder zu.
Bei Scottys Eltern, fiel mir nun wieder ein, lief immer eine spanischsprachige Frau herum, ein verbitterter, mürrischer Hausgeist, der die Wäsche aufhängte und bügelte. Ich schaute über eine zugewucherte Auffahrt zu ihrem Vorgarten. Scotty, der blonde, dickliche Sohn eines Elternpaars, das aus Wyoming zum Hafen von Oakland gezogen war. Karlsson vom Dach, fand Siem. Er holte mich immer zum Spielen ab, meistens wenn wir gerade aßen. Seine Wurstfinger auf dem Gartentor: «Joni!» So lange und schrill, bis meine Mutter ihr Besteck hinlegte und mit einem Seufzer vom Tisch aufstand.
«Kommt Joni raus?»
«Joni isst gerade noch, Scott.»
«Sag Joni, sie soll nur ein einziges Butterbrot essen.»
«Ich geh kurz noch ein Stück die Straße runter», sagte ich zu Boudewijn, schlug sanft mit der flachen Hand aufs Dach des Land Rovers und ging in Richtung von Scottys Haus.
Natürlich, auch das stand da wie immer. Der herausgeputzte, lackierte, effekthascherische kleine Palast seiner Eltern. Ein sich über zwei Etagen erstreckender Erker und eine klassische Veranda, auf der, genau wie damals, ein Schaukelstuhl stand. Die weiße Farbe makellos, Fensterrahmen und -bretter in einem Blau, das in den Niederlanden als Delfter Blau bezeichnet wird. Drinnen Messingschalen, Messinglampenschirme, an der Wand ein Karabiner mit Messingbeschlägen, ich erinnere mich an eine aufgeklappte Geige, aus der Trockenblumen ragten. Ich war erstaunlich selten in dem Haus. Schuhe aus, nichts kaputtmachen. Scott und seine kleine Schwester mussten immer draußen spielen, auf Befehl der Aufseherin, einer geschwätzigen Hausfrau, die jeden zweiten Tag zur selben Zeit in rosa Plastikhandschuhen und mit einem Eimer Lauge auf der Veranda erschien, um draußen sauber zu machen. Scotty hatte ein Cross-Rad, und wenn wir nicht zusammen durch die Gegend fuhren, zog er mich an einem Seil, das er sich um die Hüften gebunden hatte, auf meinen Rollschuhen hinter sich her, über die hügeligeren Straßen, weiter up north , immer weiter weg vom Berkeley-Campus, wo die Studenten ihre Restaurants und Kneipen und Cafés hatten. Manchmal hielt er plötzlich an, legte sein BMX-Rad hin und setzte sich mit seiner kurzen Hose, im Schneidersitz, auf den Asphalt.
«Was machst du da?»
«Ich bin gleich fertig.»
«Aber was machst du denn?»
«Ich warte, bis ich nicht mehr muss.»
«Nicht mehr muss?»
«Ich muss mal. Aber gleich nicht mehr. Ich drück’s wieder zurück.»
Kacksitzen nannte das kleine Dreckschwein das. Irgendwann, eines Nachmittags in dieser Traumlandschaft, zeigte ich Scott mit einem Kreidestück auf einer Gehsteigplatte, wie man seinen Vornamen schreibt. Skot , schrieb ich, S-k-o-t, mit einem k und ganz bestimmt nicht mit zwei t. Aber der eigensinnige Zurückdrücker, der eine Klasse unter mir war, behauptete steif und fest, Scott schreibe man mit einem c, eine halbe Stunde lang, bis Tränen über seine Apfelbäckchen
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