Bonjour Tristesse
eine Frau wegnimmt, wenn ich es nicht will...«
»Das Alter spielt doch eine Rolle«,
sagte ich ernsthaft.
Er zuckte die Achseln. Auf dem Rückweg
war er zerstreut; vielleicht dachte er daran, daß Elsa wirklich jung war und
Cyril auch und daß er, wenn er nun eine Frau heiratete, die so alt war wie er,
nicht mehr zu den Männern gehören würde, die kein Geburtsdatum haben.
Unwillkürlich empfand ich etwas wie ein Triumphgefühl. Als ich dann Anne sah
und die kleinen Runzeln um ihre Augen und die leichte Falte am Mund, ärgerte
ich mich über mich selber. Aber es war so leicht, meinen Impulsen nachzugeben
und es nachher zu bereuen.
Eine Woche verging. Cyril und Elsa, die
nicht wissen konnten, wie die Sache stand, erwarteten sicher täglich meinen
Besuch. Ich wagte nicht hinzugehen, sie hätten mir neue Ideen abgezwungen, und
das wollte ich nicht. Übrigens ging ich nachmittags immer auf mein Zimmer,
angeblich um dort zu arbeiten. Tatsächlich machte ich gar nichts. Ich hatte ein
Buch über Joga gefunden und mich mit Eifer und Überzeugung darin vertieft.
Manchmal mußte ich unbändig lachen, aber ich lachte leise, aus Angst, daß Anne
mich hören könnte, denn ich hatte ihr erzählt, daß ich unablässig arbeitete.
Ich spielte ihr gegenüber ein wenig die Rolle der enttäuschten Geliebten, die
in der Hoffnung Trost sucht, dereinst eine große Gelehrte zu werden. Ich hatte
den Eindruck, daß sie mich dafür achtete, und ich ging so weit, bei Tisch Kant
zu zitieren, was meinen Vater offensichtlich zur Verzweiflung brachte.
Eines Nachmittags hatte ich mich in ein
paar Handtücher gewickelt, um mehr wie ein Hindu auszusehen. Ich hatte meinen
rechten Fuß auf meinen linken Oberschenkel gelegt und starrte mich unverwandt
im Spiegel an — nicht aus Wohlgefallen, sondern weil ich hoffte, mich so in den
erhabenen Zustand eines Jogi zu versetzen —, als jemand an die Tür klopfte. Ich
glaubte, es sei das Stubenmädchen, und da sie noch nie durch irgend etwas aus
der Fassung gebracht worden war, rief ich ihr zu, hereinzukommen.
Es war Anne. Sie blieb eine Sekunde
völlig erstarrt in der Tür stehen und lächelte dann:
»Was spielst du denn da?«
»Jogi«, sagte ich. »Aber es ist kein
Spiel, es ist eine Hindu-Philosophie.«
Sie ging auf den Tisch zu und nahm mein
Buch in die Hand. Es war auf Seite hundert aufgeschlagen, und die anderen
Seiten waren von oben bis unten vollgekritzelt mit Bemerkungen wie
»unpraktisch« oder »anstrengend«.
»Du bist sehr gewissenhaft«, sagte sie.
»Und diese berühmte Abhandlung über Pascal, von der du uns so viel erzählt
hast, was ist aus der geworden?«
Es ist wahr, daß es mir Spaß gemacht
hatte, beim Essen einen Vortrag über einen Satz von Pascal zu halten, und ich
hatte so getan, als ob ich viel darüber nachgedacht und geschrieben hätte.
Natürlich hatte ich nicht ein einziges Wort geschrieben. Ich blieb unbeweglich
sitzen.
»Daß du nicht arbeitest und vor dem
Spiegel Hampelmann spielst, ist deine Angelegenheit!« sagte sie. »Aber daß es
dir dann Spaß macht, deinen Vater und mich zu belügen, finde ich sehr viel
schlimmer. Übrigens hat mich deine plötzliche geistige Aktivität sehr
erstaunt...«
Sie ging wieder, und ich blieb wie
versteinert in meinen Handtüchern sitzen; ich verstand nicht, daß sie das
»lügen« nannte. Ich hatte von Pascal gesprochen, weil es mich unterhielt, über
ihn zu sprechen, und ich hatte von einer Abhandlung geredet, um ihr Freude zu
machen —und plötzlich strafte sie mich mit Verachtung. Ich hatte mich an ihre
liebevolle Haltung mir gegenüber gewöhnt, und die ruhige, demütigende Art, mit
der sie mir jetzt ihre Geringschätzung zeigte, machte mich besinnungslos vor
Zorn. Ich stieg aus meiner Verkleidung heraus, schlüpfte in eine Hose und eine
Hemdbluse und lief aus dem Hause. Draußen war es glühend heiß, aber ich rannte,
getrieben von einer Wut, die um so heftiger war, als ich nicht wußte, ob ich mich
ihrer schämen sollte. Ich lief bis zu Cyrils Villa und blieb keuchend und nach
Atem ringend an der Schwelle stehen. In der Hitze des Nachmittags hatten die
Häuser eine seltsame Tiefe: schweigend, unergründlich umschlossen sie ihr
Geheimnis. Ich ging in Cyrils Zimmer hinauf; er hatte es mir an dem Tag
gezeigt, an dem wir seine Mutter besuchten. Ich öffnete die Tür: Er schlief,
quer über seinem Bett liegend, die Wange auf den Arm gedrückt. Ich blickte ihn
einen Moment lang an. Leise rief ich seinen Namen; er öffnete die
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