Bonjour Tristesse
»Und
außerdem, wenn wir etwas zuviel Differenzen haben sollten, werde ich ein
bißchen früher heiraten, das ist alles.«
Ich wußte, daß diese Lösung ihn kränken
würde.
»Ich denke nicht daran, so etwas in
Betracht zu ziehen... Du bist kein Schneewittchen... Könntest du es denn
ertragen, mich schon so bald zu verlassen? Dann hätten wir nur zwei Jahre
zusammen gelebt...«
Daran zu denken war mir genauso
unerträglich wie ihm. Ich sah den Augenblick voraus, wo ich an seiner Schulter
weinen und von verlorenem Glück und übertriebenen Gefühlen reden würde. Ich
durfte mich nicht mitschuldig machen.
»Ich übertreibe sehr, weißt du. Im
Grunde verstehen Anne und ich einander sehr gut. Wenn wir uns gegenseitig
Konzessionen machen...«
»Ja«, sagte er, »sicherlich.«
Er dachte gewiß dasselbe wie ich: daß
die Konzessionen wahrscheinlich nicht gegenseitig sein würden.
»Verstehst du«, sagte ich. »Ich bin mir
völlig im klaren darüber, daß Anne immer recht hat. Ihr Leben ist sehr viel
erfolgreicher als unseres, es hat viel mehr Sinn...«
Er machte unwillkürlich eine kleine
Bewegung des Widerspruchs, aber ich ging darüber hinweg:
»...In ein oder zwei Monaten werde ich
mir Annes Lebensanschauungen völlig angeeignet haben; es wird keine dummen
Diskussionen mehr zwischen uns geben. Man muß nur etwas Geduld haben.«
Er blickte mich an, sichtlich aus der
Fassung gebracht und erschrocken. Er verlor einen Komplicen für seine
zukünftigen Streiche, und ein wenig verlor er auch seine Vergangenheit.
»Man muß nichts übertreiben«, sagte er
etwas schwach. »Ich gebe zu, daß wir ein Leben geführt haben, das vielleicht
weder deinem noch... eh... meinem Alter entsprach, aber war es deshalb ein
dummes oder unglückliches Leben? —Nein. Im Grunde waren wir in diesen zwei
Jahren nicht allzu... eh... traurig und auch nicht haltlos. Man muß nicht
gleich alles verleugnen, weil Anne eine etwas andere Einstellung zu den Dingen
hat.«
»Man muß nicht alles verleugnen, aber
man muß verzichten«, sagte ich mit Überzeugung.
»So ist es«, sagte der arme Mann, und
wir gingen hinunter.
Ohne jede Scham bat ich Anne um
Verzeihung. Sie sagte, das sei nicht notwendig, und sicherlich trage die Hitze
Schuld an unserer Auseinandersetzung. Ich war vergnügt, und indifferent
Wie vereinbart, traf ich Cyril im
Fichtenwald; ich gab ihm Verhaltungsmaßregeln. Er hörte mir mit einer Mischung
aus Furcht und Bewunderung zu. Dann nahm er mich in seine Arme, aber es war
schon zu spät, ich mußte wieder zurück. Ich war erstaunt, wie schwer es mir
fiel, mich von ihm zu trennen. Wenn er nach einem Mittel gesucht hatte, mich an
sich zu fesseln, so hatte er es gefunden. Ich spürte seinen Körper, erkannte
ihn wieder und wurde mir meines eigenen Körpers bewußt, der an seinem aufblühte.
Ich küßte ihn leidenschaftlich, ich wollte ihm ein Zeichen aufdrücken, damit er
mich in keinem Augenblick dieses Abends vergessen könne, damit er nachts von
mir träumen müsse. Denn die Nacht würde endlos sein ohne ihn, ohne seinen
Körper am meinen, ohne sein Verstehen, seine jähe Leidenschaft und seine langen
Zärtlichkeiten.
SECHSTES KAPITEL
A m nächsten Morgen veranlaßte ich meinen
Vater, mit mir auf der Straße spazierenzugehen. Wir unterhielten uns gutgelaunt
über nichtssagende Dinge. Auf dem Rückweg schlug ich ihm vor, durch den
Fichtenwald zu gehen. Es war genau halb elf, ich war pünktlich. Mein Vater ging
vor mir, denn der Weg war schmal und dicht mit Dornensträuchern bewachsen, die
er zur Seite schob, damit ich mir nicht die Beine zerkratze. Als er
stehenblieb, wußte ich, daß er sie gesehen hatte. Ich stellte mich neben ihn;
Cyril und Elsa lagen schlafend auf den Fichtennadeln und boten ein Bild
vollkommenen ländlichen Glücks. Ich hatte ihnen genaue Verhaltungsmaßregeln
gegeben, aber als ich sie so sah, fühlte ich mich zerrissen. Konnte Elsas Liebe
zu meinem Vater und Cyrils Liebe zu mir etwas daran ändern, daß sie beide
schön, beide jung und einer dem anderen so nahe waren...? Ich schaute
verstohlen zu meinem Vater hinüber; er sah sie regungslos an, sein Blick war
unnatürlich starr, und seine Wangen schienen unnatürlich blaß. Ich nahm seinen
Arm.
»Wecken wir sie nicht, gehen wir.«
Er warf einen letzten Blick auf Elsa.
Sie lag auf dem Rücken, in ihrer ganzen jungen Schönheit, braungebrannt und
rothaarig, ein leichtes Lächeln auf den Lippen, das Lächeln einer jungen
Nymphe, die sich endlich
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