Bonjour Tristesse
verschwinden.
Und als ich dann den Ausruf meines
Vaters hörte, schreckte ich hoch, obwohl ich schon seit zwei Minuten darauf
wartete:
»Aber... aber das ist ja Elsa! Was
macht sie denn da?«
Er drehte sich zu Anne um:
»Dieses Mädchen ist erstaunlich! Sie
scheint sich den armen Burschen geangelt zu haben, und wahrscheinlich hat sie
sich bei der alten Dame lieb Kind gemacht.«
Aber Anne hörte ihm nicht zu. Sie sah
mich an. Unsere Augen trafen sich, und ich legte mein Gesicht wieder in den
Sand; namenlose Scham überflutete mich. Ihre Hand kam näher und legte sich auf
meinen Hals.
»Schau mich an, bist du mir böse?«
Ich öffnete die Augen. Sie neigte sich
mit einem unruhigen, fast flehenden Blick über mich. Zum erstenmal schaute sie
mich so an, wie man ein denkendes und fühlendes Wesen anschaut, und das gerade
an dem Tag, an dem... Ich stieß einen Seufzer aus und wandte meinen Kopf mit
einer heftigen Bewegung meinem Vater zu, um mich von ihrer Hand zu befreien. Er
blickte zu dem Boot hinüber.
»Mein armes kleines Mädchen«, hörte ich
wieder Annes Stimme leise und sanft. »Meine arme kleine Cecile, ein wenig ist
es meine Schuld, ich hätte nicht so starrsinnig sein dürfen... Ich wollte dir
nicht weh tun, glaubst du das?«
Sie strich zärtlich über meine Haare
und meinen Nacken. Ich lag bewegungslos und hatte das gleiche seltsame Gefühl,
das man empfindet, wenn eine zurückflutende Woge einem den Sand unter dem
Körper wegschwemmt: Ein Verlangen nach Hingabe, nach Weichheit hatte mich
erfaßt, und noch nie hatte irgendeine Gemütsbewegung, weder Zorn noch Begierde,
mich so mitgerissen wie diese. Die Komödie aufgeben, mein Leben ihr
anvertrauen, mich ganz in ihre Hände geben, bis ans Ende meiner Tage! Noch nie
hatte mich ein so heftiges, so überströmendes Gefühl von Schwäche erfüllt. Ich
schloß die Augen. Es schien mir, als ob mein Herz aufhörte zu schlagen.
VIERTES KAPITEL
M ein Vater hatte nichts anderes gezeigt
als Erstaunen. Das Stubenmädchen hatte ihm erzählt, daß Elsa dagewesen sei, um
ihre Koffer zu holen, gleich darauf aber wieder gegangen sei. Ich weiß nicht,
warum sie ihm nichts über unsere Unterhaltung gesagt hatte. Sie war ein Mädchen
vom Land, sehr schwärmerisch, sie mußte sich eine ziemlich romantische
Vorstellung von unserem Zusammenleben machen, besonders durch die verschiedenen
Umquartierungen, die sie durchgeführt hatte.
Mein Vater und Anne, die sich
meinetwegen Vorwürfe machten, überschütteten mich mit Aufmerksamkeit und Güte,
was mir zuerst unerträglich war, mir jedoch bald sehr angenehm wurde. Aber
obwohl ich es ja selber inszeniert hatte, war es durchaus nicht angenehm,
ununterbrochen Elsa und Cyril zu begegnen: Arm in Arm, mit allen Anzeichen
eines vollkommenen Einverständnisses. Ich konnte keine Bootsfahrten mehr
machen, aber dafür konnte ich Elsa vorüberfahren sehen; ihre Haare waren vom
Wind zerzaust, wie meine es gewesen waren. Es fiel mir nicht schwer, eine
verschlossene und scheinbar gleichgültige Miene aufzusetzen, wenn wir einander
begegneten. Denn wir trafen sie überall: im Fichtenwald, im Dorf, auf der
Straße. Anne warf mir einen Blick zu, redete schnell von anderen Dingen und
legte mir die Hand auf die Schulter, um mich zu trösten. Habe ich gesagt, daß
sie gut war? Ich weiß nicht, ob ihre Güte eine geläuterte Form ihrer
Intelligenz oder, noch einfacher, ihrer Gleichgültigkeit war, aber sie hatte
immer die richtige Geste, das richtige Wort, und wenn ich wirklich gelitten
hätte, hätte ich keinen besseren Halt haben können als sie.
Ich ließ mich gehen, ich war kaum
beunruhigt, denn, wie ich schon gesagt habe, mein Vater zeigte nicht die
geringste Eifersucht. Das bewies mir einerseits, wie stark er mit Anne
verbunden war, und ärgerte mich etwas, weil es mir andererseits die Nichtigkeit
meiner Pläne vor Augen hielt. Eines Tages betraten mein Vater und ich gerade
das Postgebäude, als Elsa unseren Weg kreuzte; sie schien uns nicht zu sehen,
und mein Vater drehte sich nach ihr um wie nach einer Unbekannten und pfiff
leise durch die Zähne.
»Du, Cecile, diese Elsa ist riesig
hübsch geworden.«
»Die Liebe bekommt ihr gut«, sagte ich.
Er warf mir einen erstaunten Blick zu:
»Dir scheint das weniger auszumachen...«
»Was willst du«, sagte ich. »Sie sind
gleich alt, das war unvermeidlich.«
»Ohne Anne wäre es gar nicht
unvermeidlich gewesen...«
Er war wütend.
»Du glaubst doch nicht, daß mir so ein
Schlingel
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