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Bonjour Tristesse

Bonjour Tristesse

Titel: Bonjour Tristesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Françoise Sagan
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mir eine angezündete
Zigarette in den Mund und versenkte sich wieder in ihr Buch.
    Ich habe dieser Geste einen
symbolischen Sinn gegeben — ich habe versucht, ihr einen solchen Sinn zu geben.
Aber heute, wenn ich kein Zündholz bei mir habe, wird dieser seltsame
Augenblick wieder in mir lebendig, dieser Abgrund zwischen meinen Gebärden und
mir selber, das Gewicht von Annes Blick und die Leere rings um mich, diese
gespannte, intensive Leere...

FÜNFTES KAPITEL
     
    Dieses Ereignis, von dem ich gerade
gesprochen habe, sollte nicht ohne Folgen bleiben. Wie gewisse Menschen, die
sehr maßvoll in ihren Reaktionen und sehr selbstsicher sind, duldete Anne keine
Kompromisse. Aber diese Geste, dieses zarte Lösen ihrer harten Hände von meinem
Gesicht war für sie ein Kompromiß gewesen. Sie hatte etwas geahnt, und sie
hätte mich dazu bringen können, es zu gestehen, doch im letzten Moment hatte
ihr Mitgefühl — oder ihre Gleichgültigkeit gesiegt. Denn sich mit mir zu beschäftigen
und mich abzurichten, fiel ihr genauso schwer wie meine Schwächen hinzunehmen.
Sie spielte diese Rolle eines Vormunds und einer Erzieherin einzig und allein
aus Verantwortungsgefühl: Weil sie meinen Vater heiratete, fühlte sie sich auch
verpflichtet, sich um mich zu kümmern. Mir wäre es lieber gewesen, diese
konstante Mißbilligung hätte ihre Ursache in einem oberflächlicheren Gefühl
gehabt oder in der Tatsache, daß ich ihr auf die Nerven ging. Dann hätte sehr
schnell die Gewohnheit gesiegt. Man gewöhnt sich an die Fehler anderer, wenn
man sich nicht verpflichtet fühlt, sie zu korrigieren. Nach sechs Monaten wäre
sie meiner müde geworden und hätte nichts mehr für mich empfunden als eine Art
liebevoller Duldsamkeit; und das ist genau das, was ich gebraucht hätte. Aber
sie würde nicht so empfinden; sie würde sich für mich verantwortlich fühlen und
es in gewissem Sinne auch sein, denn im wesentlichen war ich noch formbar. Ich
war formbar und eigensinnig.
    Und so machte sie sich Vorwürfe und ließ
es mich fühlen. Ein paar Tage später hatten wir beim Mittagessen eine
Auseinandersetzung: wieder über das unerträgliche Thema meiner Ferienarbeit.
Ich ging etwas zu weit, selbst mein Vater wurde ärgerlich, und schließlich
sperrte Anne mich in mein Zimmer ein, alles ohne daß auch nur ein einziges
lautes Wort aus ihrem Munde kam. Ich wußte nicht, was sie getan hatte, und da
ich plötzlich durstig wurde, ging ich zur Tür und versuchte sie zu öffnen; sie
gab nicht nach, und jetzt begriff ich erst, daß sie versperrt war. Ich war noch
nie in meinem Leben eingesperrt gewesen, eine Panik erfaßte mich, eine
regelrechte Panik. Ich lief zum Fenster, aber es war unmöglich, dort
herauszukommen. Ich drehte mich wieder um, ich war wirklich halbverrückt vor
Angst, ich warf mich gegen die Tür und tat mir sehr weh an der Schulter. Mit
zusammengebissenen Zähnen versuchte ich das Schloß aufzubrechen; ich wollte
nicht rufen, daß man mir öffne. Meine Nagelschere blieb im Schloß stecken. Dann
stand ich völlig regungslos mit leeren Pfänden mitten im Zimmer, und während
meine Gedanken sich langsam ordneten, spürte ich eine Art von Ruhe und Frieden
in mir aufsteigen. Es war das erste Mal, daß ich Grausamkeit kennenlernte. Ich
fühlte, wie sie mich verkrampfte, wie sie nach und nach meine Gedanken
einzwängte. Ich legte mich auf mein Bett und schmiedete sorgfältig einen Plan.
Meine unbändige Wut stand in einem solchen Mißverhältnis zu ihrer Ursache, daß
ich zwei- oder dreimal am Nachmittag aufstand, um aus dem Zimmer zu gehen, und
sehr erstaunt war, als ich mich an der verschlossenen Tür anstieß.
    Um sechs Uhr kam mein Vater herauf, um
mir die Tür zu öffnen. Ich stand mechanisch auf, als er ins Zimmer trat. Er
blickte mich an, ohne etwas zu sagen, und ich lächelte mechanisch.
    »Willst du, daß wir darüber reden?«
fragte er.
    »Worüber?« sagte ich. »Dir ist so etwas
doch ein Greuel und mir auch. Diese Sorte von Erklärungen, die zu nichts führen...«
    »Das ist wahr.« Er schien erleichtert.
»Du mußt nett zu Anne sein und geduldig.«
    Dieses Wort überraschte mich: Ich
sollte geduldig mit Anne sein... Er kehrte das Problem um. Im Grunde
betrachtete er Anne als eine Frau, die er seiner Tochter aufzwang, und nicht
umgekehrt. Man soll nie aufhören zu hoffen.
    »Ich war ekelhaft«, sagte ich. »Ich
werde Anne um Verzeihung bitten.«
    »Bist du... eh... bist du glücklich?«
    »Aber ja«, sagte ich leichthin.

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