Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bookman - Das ewige Empire 1

Bookman - Das ewige Empire 1

Titel: Bookman - Das ewige Empire 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
Vom Netzwerk:
er.
    Orphan ließ sich noch tiefer in seinen Sessel sinken. Den möchte ich
auch finden, wollte er sagen. Aber wie kommen Sie darauf, dass mir das gelingen
könnte? Seine Müdigkeit drohte ihn zu übermannen. »Zu welchem Zweck?«, wollte er
wissen.
    Â»Sagen Sie ihm«, erwiderte Mycroft, dessen Stimme plötzlich so
schleppend und alt klang wie die eines Mannes, der – ohne es zu wollen und
obwohl es ihm gegen den Strich geht – einen Kompromiss schließt, »dass ich
bereit bin, mit ihm zu verhandeln. Er ist der Feind der Lézards. Er wird mit
mir sprechen wollen.«
    Â»Worüber zu verhandeln?«, flüsterte Orphan, obwohl er die Antwort
kannte, noch bevor das Luftschiff abdrehte und zum Fluss zurückflog.
    Â»Ãœber das Leben meines Bruders«, erklärte Mycroft. »Sagen Sie ihm
das, wenn Sie Ihre Lucy wiederfinden.«

12
Im Nell Gwynne
    Die Liebe macht zu Sklaven alle,
Und starke Herzen winden sich in zarter Locken Falle.
    Alexander Pope, Der Lockenraub
    Er wurde in der Nähe des Flussufers abgesetzt, genau dort,
wo man ihn entführt hatte. Nachdem das Luftschiff sanft gelandet war, geleitete
ihn der schweigsame Butler aus der Kabine und brachte ihn hinaus. Von dem
anderen Entführer Orphans war nirgendwo etwas zu sehen. Draußen war es noch
dunkel. Das Luftschiff stieg wieder auf und segelte lautlos davon.
    Orphan vermochte keinen klaren Gedanken zu fassen. Seine Füße waren
wie aus Blei. Mit langsamen Schritten schleppte er sich den Strand entlang.
Bald würde er den Buchladen öffnen müssen. Ob Jack erwartete, dass er heute
arbeitete? Dann fiel ihm Tom ein, und ein Lächeln huschte über sein müdes
Gesicht.
    Nachdem er an Simpson’s und am Savoy Theatre vorbeigekommen war,
blieb er einen Moment vor dem Geschäft von Stanley Gibbons stehen, um die
Auslagen im Schaufenster zu bewundern. Obwohl die Straßenlaternen noch
brannten, stieg die Sonne langsam aus den Tiefen der Nacht auf, um die Straßen
der Hauptstadt mit natürlichem Licht zum Leben zu erwecken. Wie lange bin ich
jetzt eigentlich schon wach?, überlegte Orphan. Sein Körper sehnte sich nach
Schlaf.
    Trotzdem war er von dem, was es bei Gibbons zu sehen gab, gefesselt:
Briefmarken in allen erdenklichen Formaten, Größen und Farben, die wie ein
Schwarm regloser Schmetterlinge im Schaufenster lagen. Da war zum Beispiel eine
Penny Black, die erste Briefmarke der Welt. Sie zeigte das Profil der jungen
Königin Victoria, deren schuppiges Gesicht unter der Last ihrer schweren Krone
höchst majestätisch wirkte. Da war außerdem eine seltene, dreieckige Briefmarke
vom Kap der Guten Hoffnung mit dem lächelnden Gesicht von Mpande, dem dritten
der Zulu-Könige und Vater – wie ein Schildchen im Schaufenster mitteilte – von
Cetshwayo kaMpande, dem gegenwärtigen Herrscher dieses entlegenen Landes, das
unter dem Protektorat des Ewigen Empire stand. Im Nu war Orphan wieder ein
Junge und drückte sich die Nase an der Scheibe platt, hinter der eine ganze
unbekannte, aufregende Welt auf kleinen Papierstücken eingefangen war. Da lag
auch eine vor zwanzig Jahren herausgegebene Old Rectangular aus Kaschmir, deren
Aufschrift er nicht lesen konnte; direkt daneben befand sich eine Marke mit der
grinsenden Visage von Harry Flashman, die zu Ehren dieses Helden von Jalalabad
erschienen war; da war ein vespuccianischer Ersttagsbrief mit drei Marken, die
die stolzen Köpfe von Anführern des großen Volks der Sioux zeigten; selbst eine
Reihe französischer Briefmarken war dort ausgelegt, mit wildromantischen
Bildern von Calibans Insel, so wie französische Künstler sie sich vorstellten.
Lange betrachtete er die Exponate und sog jede Einzelheit einer Welt, die er
nicht kannte, in sich ein. Hier wurde einem auch, wie er begriff, die Größe des
Reichs vor Augen geführt, das sich über den ganzen Erdball erstreckte. Eine
aufregende Vorstellung, die gleichzeitig etwas Einschüchterndes hatte.
    Endlich riss er sich von dem Schaufenster los, mit einem leisen
Gefühl des Bedauerns, als hätte er etwas verloren, ohne zu wissen, was. Seine
müden Füße trugen ihn weiter den Strand entlang, der allmählich zum Leben
erwachte. Kurz vor dem Adelphi Theatre bog er nach rechts ab, in die dunklen
Gefilde des Bull Inn Court. In der Gasse war es immer finster, da sie von hohen
grauen Ziegelmauern gesäumt wurde, die alles

Weitere Kostenlose Bücher