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Bookman - Das ewige Empire 1

Bookman - Das ewige Empire 1

Titel: Bookman - Das ewige Empire 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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der Nacht.« Möglicherweise versuchte sich sein
winziger Freund auf diese Weise selbst als Dichter, vielleicht handelte es sich
aber auch um einen weiteren Ausspruch Barnums. Zu gern hätte Orphan einmal das
Spektakel von P. T. Barnums Kuriositätenkabinett, Wanderzirkus und Menagerie
gesehen, das Tom stets im Brustton der Überzeugung als größte Show auf Erden
bezeichnete.
    Tom war Vespuccianer, stammte jedoch von englischen Eltern ab und
war im Gebiet des Stammes der Moheganer zur Welt gekommen, genauer gesagt, in
Quinnehtukqut, was – wie Tom Orphan einmal erzählt hatte – Land
am langen Fluss hieß, dem die Einwanderer dann den Namen Connecticut
gegeben hatten. Der kleinwüchsige Tom – ein furchtloser, charmanter und wilder
Bursche – wurde von Barnum entdeckt, dessen Zirkus er sich in jungen Jahren
anschloss. Aus Gründen, über die er nie sprach, hatte er den Zirkus verlassen,
als dieser in die Hauptstadt gekommen war, und sich in dem verfallenen alten
Pub niedergelassen, dessen geringe Größe ihn, wie er sagte, anheimelte. Er war
Orphans Freund, gehörte ebenfalls zu den Leuten aus Porlock und fand sich
jederzeit bereit, für Orphan im Buchladen einzuspringen, was er sich statt mit
Geld mit Büchern bezahlen ließ.
    Mit diesen Büchern waren alle Wände des Nell Gwynne bedeckt. Sie
standen auf schiefen Wandregalen und Fensterbrettern, dienten hier und da dazu,
das zu kurze Bein eines Tisches abzustützen oder verbargen sich wie schlafende
Hauskatzen, die die schummrige Beleuchtung und die Wärme des Kaminfeuers in
vollen Zügen genossen, hinter Kissen und leeren Biergläsern. In dem kleinen Pub
ließen sich immer wieder Entdeckungen machen, die von Toms ebenso eklektischen
wie sprunghaften Interessen zeugten. Auf dem Tresen zum Beispiel fand Orphan
einen dickleibigen illustrierten Band mit dem Titel Die
Rundstirnmotten Nordvespuccias (Lepidoptera: Glyphipterigidae). Mit
Holzschnitten und Erläuterungen des Autors , während er auf einem halb
hinter der Tür verborgenen Brett eine in Pergament gebundene Ausgabe von Die schwimmende Insel. Eine Tragikomödie entdeckte,
verfasst von Studenten des Oxforder Christ Church College und 1655 erschienen.
Hierbei handelte es sich um eine frühe und äußerst boshafte Darstellung der
Reise, die Les Lézards nach Britannien unternommen hatten. Das berüchtigte, von
Henry Lawes vertonte Stück war natürlich nie aufgeführt worden. Neben der Spüle
hatte er Gelegenheit, den neuesten Katalog von Smedleys Hydropathischer
Gesellschaft durchzublättern, in dem der brandneue, mit Stromstößen arbeitende
Wasserbehälter (Heilt jede Krankheit!) angepriesen wurde. In der Nähe des
Kamins fand sich außerdem ein wackliger Stapel technischer Handbücher, darunter
Rippers Die Dampfmaschine: Theorie und Praxis ,
Babbages Einige Gedanken zu Simulacra , Moriartys Abhandlung über den binomischen Lehrsatz sowie Lady Ada
Lovelaces Einführung ins Programmieren . Hinter der
Bar lehnten – an einer nicht etikettierten Flasche mit cremigem Likör – Die zwölf Stunden der Nacht , ein Werk des Dichters William
Ashbless, und neben dem Bett stieß er auf Toms aktuelle Lektüre Die Zeit-Argonauten , den Debütroman eines jungen, Orphan
nicht bekannten Schriftstellers namens Herbert Wells.
    Die ganze Ansammlung war Fund- und Abfallgrube zugleich, das
Labyrinth einer Bibliothek ohne Zweck und Ordnung, in dem man sich leicht
verirren konnte. Orphan liebte dieses Sammelsurium.
    Als er gerade ein abgegriffenes Exemplar von Flashmans Höhe- und Tiefpunkte eines Soldatenlebens durchblätterte,
vernahm er von draußen den Gesang mehrerer Personen, aus dem er die fröhlich
schmetternde Stimme Toms heraushörte: »Oh, kalt war die Nacht, als ich
schweifte umher, über Berge, durch Täler, ganz ohne Begehr, bis ich kam zu ’ner
Hütte, verfallen und alt, aus der eine Stimme entgegen mir schallt’, ich bin,
so rief es, dass Gott sich erbarm, eines Säufers Kind, so hungrig und arm!«
    Zwei weibliche Stimmen fielen ein, um lauthals den Refrain zu
singen: »Eines Säufers Kind, so hungrig und arm!«
    Die Stimmen kamen immer näher, während Orphan schmunzelnd der alten
Moritat lauschte. »In Einsamkeit leb ich und weine vor Jammer, weder Nachbar
noch Freund sucht auf meine Kammer, hab Holz nicht zum Feuern, wenn Kälte
klirrt, und der

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