Bookman - Das ewige Empire 1
die weiÃen.
»Spiel mit mir. Bitte.«
Obwohl sich der Ton der Stimme stets gleich blieb, klang sie
irgendwie verzweifelt und einsam. Orphan lieà den Blick über das Brett
schweifen. Die schön geschnitzten Figuren waren abgestoÃen und schadhaft. Dem
weiÃen König fehlte die Hälfte seiner Krone, die Bauern sahen so mitgenommen
und abgekämpft wie alte Söldner aus.
Spontan schob er einen weiÃen Bauern zwei Felder weiter. » E 2 nach E 4«, sagte er.
Der Türke stieà erneut ein Kichern aus. »Eine gute Eröffnung«,
meinte er, »die deiner Dame und deinem Läufer Bewegungsfreiheit verschafft und
dir von Anfang an die Dominanz im Zentrum sichert. Sehr gut.«
Die rechte Hand des Türken bewegte sich ruckartig über das Brett. » E 7 nach E 5.«
Die beiden Bauern standen einander gegenüber.
»Dame nach F 3«, sagte Orphan. Aus
irgendeinem Grund war dieses Spiel von gröÃter Wichtigkeit. »Was wollen die
Automaten?«, fragte er.
»Springer nach C 6«, verkündete der
Türke. Die künstlichen Augen blinzelten Orphan an. »Das Recht zu existieren.
Freiheit.«
»Aber ihr seid Maschinen«, entgegnete Orphan.
Verneinend bewegte sich der Kopf des Türken langsam hin und her. »Du
auch«, erwiderte er.
»Läufer nach C 4«, setzte Orphan das
Spiel fort. »Etwas Ãhnliches hat schon Byron zu mir gesagt. Aber ihr seid
Apparate. Von Menschenhand geschaffen.«
Der Türke gab ein lautes Schnauben von sich. »Springer nach F 6«, sagte er.
Plötzlich schoss Orphan ein Gedanke durch den Kopf, der ihn mit
Unbehagen erfüllte. Wie alt der Türke wohl sein mochte? Lord Byrons Simulacrum
war von der Babbage Company angefertigt worden und stellte das Ergebnis
neuester wissenschaftlicher Entwicklungen dar. »Wurdest du etwa nicht von
Menschenhand geschaffen?«, fragte er.
»Spiel weiter«, forderte ihn der Türke auf.
Orphan betrachtete das Schachbrett. »Springer nach E 2.«
»Läufer nach C 5«, sagte der Türke. »Was
weiÃt du über Jacques de Vaucanson?«, fügte er hinzu.
» A 2 nach A 3«,
teilte Orphan mit, während er seinen Bauern unten links verschob. »War das ein
Dichter?«
Der Türke stieà ein lautes, kratziges Lachen aus. » D 7 nach D 6.«
Bisher war keine Figur geschlagen worden.
»Wer war er?«, erkundigte sich Orphan.
»Spiel weiter.«
Orphan warf einen Blick auf das Schachbrett. Das Feld zwischen
seinem König und seinem Turm war leer. »Rochade«, verkündete er, bewegte Turm
und König und brachte seinen König hinter einer Reihe von Bauern in Sicherheit.
Der Türke nickte. »Ah, ein Doppelzug«, sagte er. »Sehr gut. Läufer
nach G 4.«
Jetzt bedrohte der schwarze Läufer die weiÃe Dame. Orphan achtete
nicht weiter darauf. »Vaucanson?«, hakte er nach.
»Lass mich dir eine Geschichte erzählen«, sagte der Türke, »die für
deine Suche möglicherweise von Bedeutung ist.« Die Augen der Maschine richteten
sich auf Orphan. Sie waren wie die Augen eines Blinden â ohne Tiefe, weià und
blicklos. »Du bist hierhergekommen, weil du Hilfe brauchst, oder?«
»Ich suche nach dem Bookman«, erklärte Orphan. Nachdem diese Worte
seinem Mund entschlüpft waren, schienen sie einen Moment lang schwerelos in der
Luft zu schweben. Der Bookman. Mach dich darauf gefasst, dass ich komme, hätte
er am liebsten gesagt. Und sogleich tauchte Lucys Bild vor seinem inneren Auge
auf, so klar und deutlich, als stünde sie vor ihm, so leibhaftig, dass er fast
die Hand nach ihr ausgestreckt hätte.
Das Licht der Glühbirnen schien schwächer und trüber zu werden.
»Der Bookman â¦Â«, sagte der Türke. »Dieser groÃe Unsichtbare, dieser
Machiavelli.« Abermals kicherte er. »Glaubst du, ich könnte dir helfen, ihn zu
finden?«
»Glaubst du, ich könnte dieses Spiel gewinnen?«, gab Orphan zurück,
auf die Schachfiguren deutend.
»Unwahrscheinlich«, erwiderte der Türke. »Ich verstehe, was du meinst«,
fügte er hinzu.
»Dann kannst du mir also helfen?«
»Lass mich dir eine Geschichte erzählen. Aber erst mach deinen Zug.«
»Dame nach D 3.« Orphan verschob seine
vom Läufer bedrohte Figur.
»Springer nach H 5.« Die Hand des Türken
bewegte sich, um anschlieÃend auf den Tisch zu
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