Bookman - Das ewige Empire 1
Sie dürfen nicht
zulassen, dass Monsieur de Vaucanson den Ruhm für Ideen einheimst, die er
vielleicht von Ihnen übernommen hat. Doch er hat sich ganz aufs Mechanische
verlegt und zu diesem Zweck all seinen Scharfsinn aufgeboten â und er ist ein
Mann, der auch vor extremen MaÃnahmen nicht zurückschreckt. «
Vor Orphans innerem Auge entstand das Bild der zwei Männer: zweier
Wissenschaftler, die beide insgeheim an einem Menschen arbeiteten, der kein
Mensch war, einander misstrauisch beobachteten und sorgsam darauf achteten,
dass nichts von dem, was sie taten, an die Ãffentlichkeit drang. Warum sie sich
wohl entzweit hatten, wenn der eine einst der Schüler des anderen gewesen war?
»Das schrieb de Cideville â ebenfalls ein Freund Voltaires â an Le
Cat«, erklärte der Türke. »Doch aus Le Cats Menschen wurde nichts.«
»Und aus dem Vaucansons? Was ist mit dem passiert?«
»Spiel weiter«, forderte ihn der Türke auf.
Frustriert blickte Orphan aufs Schachbrett. »König nach F1«, sagte
er zögernd. Der weiÃe König zog sich vorübergehend zurück.
»Läufer nach D 4.« Der Kopf des Türken
nickte auf und ab. »Offiziell, das heiÃt, den Geschichtsbüchern zufolge, hat
Vaucanson sein Projekt niemals zu Ende geführt. Sein künstlicher Mensch hat nie
existiert. Das Projekt wurde aufgegeben, und als Vaucanson 1782 starb, war er
ein alter und reicher Mann.«
»König nach E2«, sagte Orphan, der wusste, dass er verlieren würde.
»Die Revolution. In Frankreich«, fügte er hinzu.
Der Türke blickte auf. »Ja?«
»Fand 1789 statt.«
»Und?«
»Sieben Jahre nach Vaucansons Tod.«
»Richtig ⦠Dame nach G2. Schach.«
»Was ist mit dem Bookman? Du hast angedeutet, er habe Vaucanson
veranlasst, sein Simulacrum zu bauen. Weshalb?«
Der Türke nickte. »Was meinst du?«
»Um dem Ewigen Empire Widerpart zu bieten. Um die zunehmende Macht
der Lézards einzudämmen.« Orphan sah den Türken an. »Was ist eigentlich bei der
Stillen Revolution geschehen?«
»Möglicherweise wirst du bald Gelegenheit haben, das selbst
herauszufinden«, orakelte der Türke. »Spiel weiter.«
»König nach D 1«, sagte Orphan.
»Dame schlägt H 1«, erwiderte der Türke
und nahm Orphans Turm aus dem Spiel. »Schach.«
»WeiÃt du, wo sich der Bookman versteckt?«
»WeiÃt du es?«
»Nein. Ich â¦Â«
Ein entsetzlicher Gedanke stieg in ihm auf.
Der Kopf des Türken nickte auf und ab, die Lichter flackerten. »Der
Bookman will, dass du ihn findest«, sagte der Türke. »Er hat dich seit Langem
im Blick. Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, warum?«
»Verrat es mir!«, flüsterte Orphan. »Verrat es mir!«
»Spiel weiter.«
»König nach D 2.«
»Dame nach G 2. Schach.«
»König nach E 1!«
»Springer nach G 1.«
»Verrat es mir.«
»Ich sitze hier allein im Dunkeln«, entgegnete der Türke, »Stunde um
Stunde, Tag für Tag. Ich habe viel Zeit zum Nachdenken. Um die Fäden der
Vergangenheit zu betrachten, die sich mit dem Knoten der Gegenwart verflechten,
und um mir auszumalen, welche Zukunft sich daraus ergeben könnte. Wie bei einem
Schachspiel sehe ich unendlich viele Möglichkeiten. Und du, mein kleiner Bauer,
du bist der Katalysator, der mit kleinen Schritten das Brett überquert ⦠mit
welchem Ziel? Was für ein Endspiel wirst du uns allen bescheren, Orphan?«
»Keine Ahnung. Sag du es mir.«
»Spiel weiter.«
»Springer nach C 3.«
»Läufer schlägt C 3. WeiÃt du, ich habe
schon einmal genau solch eine Partie wie die hier gespielt. Während der
Revolution. Mein Gegner war ein junger Soldat ⦠ein kleiner, temperamentvoller,
rundum genialer Mann namens Bonaparte. Wäre die Geschichte, wäre sein Leben
anders verlaufen, wäre er vielleicht ein bedeutender Mann geworden. Ich glaube
jedoch, dass ihn das Leben als Weinbauer, das ihm beschieden war, glücklicher
gemacht hat. Glück und Zufriedenheit â das muss doch etwas wert sein, oder?«
»Ich strebe nicht nach GröÃe«, erwiderte Orphan. »Ich will nur â¦Â«
»Glücklich und zufrieden sein? Das Mädchen bekommen und heiraten,
fette Babys groÃziehen, mittelmäÃige Gedichte schreiben?
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