Bookman - Das ewige Empire 1
ist das eigentlich â Leben? Wenn der Mensch
eine Maschine ist, konnte man dann nicht eine Maschine bauen, die Leben
simuliert?«
»Vaucanson machte sich daran, ein Simulacrum zu konstruieren«, warf
Orphan ein.
»Richtig! Sehr gut!«
Geistesabwesend machte Orphan einen Zug. »G2 nach G3.«
Jetzt bedrohte sein Bauer die Dame des Türken.
»Bauern sind ebenfalls äuÃerst faszinierende Figuren â¦Â«, meinte der
Türke. »So klein und unbedeutend sie auch sein mögen ⦠trotzdem können sie
Könige zu Fall bringen. Interessant, nicht wahr? Springer nach F 3.«
Und jetzt bedrohte der Türke Orphans Dame.
»Ist ihm die Konstruktion gelungen?«
»Wer weiÃ!«, erwiderte der Türke. »Zu einer anderen Zeit ⦠wenn die
Echsen nicht aufgetaucht wären ⦠wenn es den Bookman nicht gegeben hätte ⦠In
einer solchen Zeit wäre er vielleicht gescheitert. Merkwürdig. Je länger ich
existiere ⦠je länger ich lebe ? â¦, desto häufiger
denke ich über das nach, was hätte sein können, über das, was
wäre, wenn ⦠Ãber die Punkte in der Geschichte, an denen eine kleine,
winzige Veränderung zu einer ganz anderen, unvorstellbaren Zukunft hätte führen
können. Das ist wie beim Schach, bei dem es ebenfalls unendlich viele
Kombinationen, Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Wendepunkte gibt ⦠Ich
denke häufig über die Zukunft nach, über unsere Zukunft. Und ich sehe viel
Ungewissheit.« Er verstummte und stieà einen Seufzer aus. Als er weitersprach,
klang seine Stimme irgendwie verzweifelt. »Bitte spiel weiter.«
»König nach G 2«, sagte Orphan und
versetzte die Figur, die jetzt die beiden Springer des Türken bedrohte. Orphan
befand sich in der Defensive. Keine seiner Figuren hatte es geschafft
voranzukommen, während es dem Türken gelungen war, auf Orphans Seite
vorzudringen. »Verdammt!«
»Springer schlägt E1«, verkündete der Türke, während er Orphans Dame
mit seinen langen Fingern geschickt vom Brett nahm. »Schach.«
»Verdammt!«, wiederholte Orphan. Der Türke starrte ihn lediglich an.
»Turm schlägt E 1«, sagte Orphan
schlieÃlich und bemächtigte sich des gegnerischen Springers.
»Dame nach G 4«, sagte der Türke. Jetzt
stand nur noch ein Bauer zwischen der Dame des Türken und Orphans König.
» D 2 nach D 3«,
erwiderte Orphan, indem er einen Bauern verschob. »Vaucanson hat also Erfolg
gehabt.«
»Läufer schlägt F 2«, sagte der Türke und
nahm Orphans Bauern aus dem Spiel. Jetzt stand der Läufer neben dem weiÃen
König und bedrohte Orphans Turm.
»Er hat ein Simulacrum gebaut.«
»Du neigst dazu, Wahrscheinlichkeiten auf Gewissheiten zu
reduzieren«, murmelte der Türke, was für Orphan keinen Sinn ergab. »Aber gut,
ja. Grob gesprochen kann man es so ausdrücken.«
»Turm nach H 1«, sagte Orphan an.
»Dame schlägt G 3«, entgegnete der Türke,
indem er den Bauern, der zwischen ihm und dem weiÃen König stand, entfernte.
»Schach.« Wieder seufzte er. Das muss eine Aufnahme sein, dachte Orphan.
Möglicherweise ein verborgenes System von Miniaturscheiben, jede mit bestimmten
Geräuschen, mit einem Wort, einem Satz oder irgendeiner nicht verbalen
ÃuÃerung. Er überlegte, wessen Stimme das ursprünglich gewesen war und wie alt
sie sein mochte. »Wer hat dir deine Stimme gegeben?«, fragte er.
Der Türke schwieg und saà reglos da, als wäre ihm die Energie
ausgegangen. Du sprichst mit der Stimme eines toten Mannes, dachte Orphan.
Nach einer Weile rührte sich der Türke wieder. Sein Kopf drehte sich
hin und her, als suchte er nach etwas Unsichtbarem. Die Lichter flackerten.
»Vaucanson hat viele Jahre an dem Projekt gearbeitet«, sagte er, ohne auf
Orphans Frage einzugehen. »Er war ein Schüler von Le Cat, weiÃt du, und zum
Schluss waren sich die beiden spinnefeind. Le Cat arbeitete nämlich auch an
einem künstlichen Menschen.« Der Türke machte ein Geräusch, das sich anhörte,
als räusperte sich ein Mensch. Als er fortfuhr, klang seine Stimme tiefer und
nicht mehr so monoton wie zuvor, was den Eindruck erweckte, jemand anders
spräche jetzt aus ihm. » Sie arbeiten, wie ich gehört habe,
an einem künstlichen Menschen, was sehr lobenswert ist.
Weitere Kostenlose Bücher