Borderlands
Schwestern saßen in der Küche um
einen Tisch. Sie sahen einander bemerkenswert ähnlich. Ein nur mit einer Windel
bekleideter Säugling schmiegte sich an die Brust einer der Schwestern und
knüllte deren weiße Bluse in seiner Faust zusammen.
Ich setzte
mich an den Tisch und holte meine Zigaretten heraus.
»Neben meiner
Kleinen wird nicht geraucht«, sagte die junge Mutter und schnippte die Asche
ihrer eigenen Zigarette auf den Linoleumboden.
Ich steckte
die Zigarette nicht weg, zündete sie jedoch auch nicht an. Die jüngste Tochter
weinte noch immer, die anderen beiden Mädchen starrten mich an, eine mit roten
Augen, eine irgendwie trotzig, als wollte sie vor einem Polizisten keine
Gefühle zeigen.
»Ich brauche
Hilfe, um herauszufinden, was Angela zugestoßen ist«, fuhr ich fort.
»Vielleicht könnt ihr mir sagen, mit welchen Leuten sie zusammen war, wer ihr
Freund war und so weiter.«
Das jüngste
Mädchen öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, wurde jedoch von der
Schwester unterbrochen, die den Säugling hielt und Christine hieß, wie ich mich
nun zu erinnern glaubte.
»Wir wissen
gar nichts, Inspector .« Sie betonte jede einzelne
Silbe des Titels so verächtlich sie konnte. Mir fiel auf, dass sie als Einzige
der Schwestern nicht geweint hatte. Ihre Augen waren klar und nicht gerötet.
Sie bemerkte meinen Blick und sah auf ihr Baby hinab, den Kopf leicht schräg
gelegt.
Ich wandte
mich an das jüngste Mädchen. »Wolltest du mir etwas sagen?«, fragte ich. »Um
mir zu helfen?«
Sie sah
verstohlen zu ihrer Schwester, dann senkte sie den Kopf und starrte auf ihre
Hände, die verschränkt in ihrem Schoß lagen. Sie sah unterernährt aus, ihre
knochigen, rosigen Hände wirkten wie Jungvögel in einem Nest.
Christine
meldete sich wieder zu Wort. »Wie ich Ihnen schon gesagt habe«, erklärte sie,
»wir wissen gar nichts.« Dann gab sie dem Baby die Flasche. Die Zigarette
behielt sie im Mund, und der Qualm zwang sie zu blinzeln.
Ich fragte
Sadie, ob ich mir Angelas Zimmer ansehen dürfe. Schweigend ging sie mir voran
die Treppe hinauf, stieß eine Zimmertür auf und wartete darauf, dass ich
hineinging. Ich war ein wenig überrascht, dass das Zimmer so ordentlich war,
und schämte mich dieses Gedankens zugleich ein wenig. Ein Fenster, das auf den
Hinterhof hinausging, beherrschte die gegenüberliegende Wand.
Der Raum
wirkte frisch gestrichen, ein Lavendelfarbton; Teppich und Bettzeug waren
hellgrün. Ein Poster von einem gewissen Orlando Bloom war sorgfältig an die
Wand hinter dem Bett geheftet worden. Der Schrank war voll mit
Kleidungsstücken, die nach Art und Größe sortiert in ordentlichen Stapeln lagen
und auf Bügeln hingen. Auf dem Boden entdeckte ich die Ecke eines Taschenbuchs,
das unter dem Bettüberwurf hervorlugte. Ich erkannte die Autorin wieder, weil
meine Frau Debbie sie auch las. Geistesabwesend blätterte ich das Buch durch,
während ich mich im Zimmer umsah, da fiel mir ein Streifen Passbilder in die
Hände, den Angela als Lesezeichen benutzt hatte. Auf den Fotos sah man zwei
Mädchen im Profil, die vom weißen Rand der Bilder zur Bildmitte hin grinsten.
Auf dem letzten Foto berührten ihre Gesichter sich ganz leicht, und Angela
lächelte nicht mehr, wirkte aber umso zufriedener. Es machte mich traurig, sie
so lebendig zu sehen. Ich hielt die Fotos hoch und fragte Sadie, wer das andere
Mädchen sei, doch sie zuckte nur die Achseln und wollte wissen, ob ich fertig
sei. Sorgfältig legte ich den Fotostreifen wieder an die richtige Stelle im
Buch, ehe mir klar wurde, wie sinnlos das war.
In einer Ecke
des Zimmers gab es einen alten CD -Spieler und ein Plastikregal mit etwa
einem Dutzend CD s unter einem
freistehenden Spiegel. Die meisten Bands kannte ich entweder gar nicht oder
hatte nur durch Penny von ihnen gehört. Seltsamerweise fand ich darunter jedoch
eine CD von ›The
Divine Comedy‹, deren Auftritt in Dublin ich einige Jahre zuvor gesehen hatte.
Irgendwie passte sie nicht zu all den Boygroups. Ich fragte Sadie nach der CD . Erneut
zuckte sie die Achseln, ging in den Korridor und gab damit zu erkennen, dass
ich im Zimmer ihrer Tochter nicht länger erwünscht war. Ich dankte ihr und
sprach ihr nochmals mein Beileid aus, während ich die Treppe hinab und nach
draußen ging, um mit Johnny über die Identifizierung der Leiche zu sprechen.
Er stand immer
noch vor dem Haus und zupfte die letzten verwelkten Rosen eines
Floribundastrauchs ab. Die Blüten selbst waren schwer
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