Borderlands
lockigen Haaren, die er in einem Pferdeschwanz trug.
Seine Kleidung wirkte, als stammte sie aus der Altkleidersammlung, und roch
muffig-feucht. Mit seinen Füßen war er eitler: Ich habe ihn nie zwei Mal
dasselbe Paar Turnschuhe tragen sehen – sie waren stets neu und immer
Markenschuhe. Wenn man mit ihm sprach, blickte er zu Boden und krümmte die
Zehen, was unter dem weißen Leder der Sneakers zu sehen war. Er blickte einen
beim Sprechen auch nicht an, sondern starrte auf einen Punkt links neben einem,
als stünde dort noch jemand. Alle seine Kinder hatten die gleiche Angewohnheit,
was ihre Sozialarbeiterin für unhöflich gehalten hatte, bis sie sie besser
kennengelernt hatte.
Wir standen
vor seiner Haustür, und er starrte auf seine Schuhe, während ich ihm vom Tod
seiner Tochter berichtete und ihn bat, sie zu identifizieren. Dann sah er an
mir vorbei, seine Lider flatterten vor Trauer oder Wut. Er atmete tief aus, als
hätte er die Luft angehalten, seit ich bei ihm war, und ich meinte, unter dem
Zigarettenrauch Alkoholdunst wahrnehmen zu können.
»Sie ist es«,
meinte er. »Ich weiß, dass sie’s is. Sie is seit zwei Tagen nicht nach Hause
gekommen. Is am Donnerstag nach Strabane.« Er lehnte sich ein wenig zurück, als
müsste er sich am Türrahmen abstützen; das Sonnenlicht vergoldete die krausen
roten Haare auf seinen Handrücken.
Hinter ihm
tauchte mit aschfahlem Gesicht Sadie Cashell auf; offenbar hatte sie unser
Gespräch mit angehört. Sie trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab.
»Was gibt’s, Johnny?«, fragte sie misstrauisch.
»Die haben
Angela gefunden. Sie glauben, sie is tot!«, sagte er. Und dann wurden seine
Lippen weich, und sein Gesicht fiel in sich zusammen.
Man konnte es
kaum Weinen nennen, was da aus ihm hervorbrach, Speichel und Tränen tropften
von seinem Kinn. Während die letzten Sonnenstrahlen sich davonstahlen und die
Welt beinahe unmerklich dunkel wurde, hörten seine Lider auf zu flattern.
»Wie?«, wollte
Sadie wissen. Ihr Kinn bebte.
»Wir … wir
wissen es noch nicht, Sadie«, sagte ich. »Wir fürchten, jemand hat sie
ermordet.«
»Das muss ein
Irrtum sein«, sagte sie. Ihre Stimme klang hysterisch und wurde immer lauter.
Sie packte den Arm ihres Mannes, bis die Knöchel weiß hervortraten. »Sie irren
sich.«
»Es tut mir
leid, Sadie«, entgegnete ich. »Ich … wir werden tun, was wir können. Das
verspreche ich.« Sie starrte mich an, als erwartete sie, ich werde noch etwas
sagen. Dann wandte sie sich ab und ging hinein.
Johnny Cashell
zog die Nase hoch, das Gesicht gen Strabane gewandt. Sadie hatte ihren Töchtern
wohl die schlechte Neuigkeit überbracht, denn ich hörte die Mädchen im Haus
weinen. Die Lautstärke schwoll rasch an.
»Sie müssen
ins Leichenschauhaus kommen, Mr Cashell. Um sie zu identifizieren. Falls es
Ihnen nichts ausmacht.«
»Sie soll da
nich bleiben. Bringen Sie sie nach Hause«, sagte er.
»Mr Cashell,
wir müssen sie noch untersuchen, um herauszufinden, was ihr passiert ist. Ich
fürchte, Sie bekommen sie erst in ein, zwei Tagen zurück.«
Er holte eine
Dose aus der Tasche und entnahm ihr eine Selbstgedrehte, steckte sie in den
Mund und zündete sie an. Dann spuckte er ein Tabakstück von seiner Zunge und
sah wieder in meine Richtung, haarscharf an meiner Schulter vorbei. »Ich weiß,
was ihr passiert ist. Ich kümmer mich drum«, sagte er.
»Was meinen
Sie damit? Was ist Angela Ihrer Meinung nach passiert, Mr Cashell?«, fragte
ich.
»Egal«, sagte
er und sah mich immer noch nicht an.
Seine Frau kam
wieder an die Tür. »Wo ist mein Mädchen, John?«, fragte sie ihren Mann. Er
deutete mit dem Daumen auf mich.
»Er sagt, wir
können sie noch nich haben. Sie darf noch nich nach Hause, sagt er.«
»Wer hat das
getan?«, wollte sie wissen.
»Ich … wir
wissen es nicht, Mrs Cashell«, erwiderte ich und sah ihren Mann an. »Wir
arbeiten daran.«
»Wenn’s darum
geht, unschuldige Leute auf der Straße aufzulesen, die vielleicht mal was
getrunken haben, dann seid ihr blitzschnell. Und jetzt seid ihr plötzlich so
langsam. Bei irgendso nem reichen Gör wärt ihr bestimmt schneller.«
»Mrs Cashell«,
sagte ich. »Ich verspreche Ihnen, wir werden diesen Fall so schnell wie möglich
aufklären. Kann ich bitte mit Ihren Töchtern sprechen?«
Sadie sah erst
mich und dann ihren Ehemann an. Der zuckte mit den Achseln und entfernte sich
langsam, immer noch rauchend, von der Tür. Da ließ sie mich herein.
Angelas drei
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