Borderline ein Narco-Thriller
anderen Ende des Landes aufgebaut hatte, hatte sich ihre Ehe aus dem Zustand des friedlichen Desinteresses in eine kriegerische Auseinandersetzung verwandelt. Allein gelassen von ihrem Mann, versank Cynthia zusehends in Depressionen. Und jetzt fehlte auch noch Claire, sodass es nun an der Mutter lag, sich mit ihren Gedanken und Ängsten in der großen Villa zu verschanzen. In dieser trostlosen Lage fand sie mehr und mehr Gefallen an einer Rückkehr in die Staaten.
Zunächst bemerkte Claire nichts von dem Wandel, der in ihrer Mutter vorging. Wie auch, sie war ja ständig unterwegs. Ihre jugendliche Leidenschaft für Ken hatte sich zu einer ausgewachsenen Verliebtheit gesteigert. Sie wunderte sich über sich selbst, denn sie war eigentlich nicht der Typ, der sich einfach so verknallte. Doch je häufiger sie zusammen waren, desto schlimmer wurde es.
Nur: Es tat sich nichts. Sie kam nicht voran bei ihm. Dabei versuchte sie es pausenlos mit vorsichtigen Flirtversuchen. Kens Reaktion darauf? Ernüchternd, denn es gab
keine
. Zuerst hatte Claire Gaby, das schmächtigste Mitglied der Clique, im Verdacht. Aber obwohl auch sie offensichtlich viel für Ken übrig hatte, stand sie auf einem ähnlichen Abstellgleis wie Claire. Immer ging es nur ums Surfen.
Erst mit der Zeit verstand Claire die Hierarchie innerhalb der Gruppe. Ganz oben stand Ken, natürlich. Gleich darunter sein ältester Kumpel Frederick „Frat“ Fred. Auf gleicher Ebene danach kamen Colin und Marten, etwas ältere muskelbepackte Hardcore-Surfer, die beide nicht viel redeten. Zusammen formten die vier Jungs den Kern der Gang, den die beiden Mädels wie zwei Satelliten umkreisten.
Es war nicht so, dass sie ausgegrenzt, überheblich behandelt oder bei den Wellen benachteiligt wurden. Aber richtig drin waren sie eben nicht. Gaby schien sich nicht daran zu stören, aber Claire machte die unmerkliche Trennung zu schaffen. Besonders aus Marten wurde Claire nicht schlau. Oft hielt er sich abseits der Gruppe, um sich dann mit aller Vehemenz als Erster in die Wellen zu stürzen. Bis auf die Möglichkeiten, die ihm Ken hinsichtlich Transport und Unterkunft bot, schien er kein weiteres Interesse an der Clique zu haben. Manchmal war Claire allerdings, als ob zwischen Marten und Ken eine ganz eigene Verbindung bestand. Sie sollte bald sehen, wie richtig sie mit ihrer Vermutung lag.
Sie waren gemeinsam für ein Wochenende nach Elands Bay gefahren. Die Bedingungen am Samstag waren nicht berauschend gewesen, und so hatten sie beschlossen, den Tag grillend auf ihrer Terrasse ausklingen zulassen. Vielleicht lag es daran, dass Claire den ersten und einzigen Joint ihres Lebens rauchte, vielleicht auch an der einen Rum-Cola zu viel. Jedenfalls lief sie später in der Nacht giggelnd über den Flur zu Kens Zimmer - das keiner von ihnen ohne direkte Einladung des Gastgebers jemals betrat. Berauscht setzte sie sich über das unausgesprochene Gesetz hinweg und schlich sich leise in den spärlich beleuchteten Raum. Der Anblick Martens, der mit gespreizten Beinen nackt vor dem ebenso unbekleideten Ken lag und sich mit geschlossenen Augen von ihm einen blasen ließ, ernüchterte Claire auf der Stelle. Eine lahme Entschuldigung stotternd, trat sie augenblicklich den Rückzug an, rannte in ihr Zimmer und raffte ihre Sachen zusammen. Dann verließ sie das Haus, bevor Ken sich etwas anziehen und ihr folgen konnte. Den Rest der Nacht verbrachte sie am kalten Strand, ehe sie am nächsten Tag einen Surfer fand, der sie mit zurück nach Kapstadt nahm. Ken sah sie nie wieder.
Die folgenden Tage heuchelte Claire ihrer Mutter eine Grippe vor, ließ sich krankschreiben und schloss sich in ihrem Zimmer ein. Sie war nicht wütend auf Ken, auch nicht moralisch entsetzt oder angeekelt. Vielleicht war sie sogar erleichtert zu wissen, dass Kens Ablehnung nicht mit ihr persönlich zusammenhing, sondern einzig mit der Tatsache, dass sie eine Frau war.
Dennoch fühlte sie sich traurig und leer. Ihr war bewusst, dass es für sie keinen Weg zurück in die Gang gab. Auch die Schule, insgesamt alles, was mit Ken zu tun hatte, war tabu. Da passte es gut, dass Cynthias Rückwanderungspläne in der Zwischenzeit weit gediehen waren. Für Claire stand fest: Sie würde mit ihrer Mutter fahren. Es kostete sie nicht viel Überredungskunst, und neun Wochen später reisten sie nach San Diego, zurück in Cynthias Heimat.
San Diego klang gut für Claire. Trotz der Wellen.
* * *
Bei dem Gedanken an die
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