Borderline ein Narco-Thriller
in den beginnenden Tag.
Gerade als Maria etwas sagen will, hebt Gonzales warnend den Zeigefinger und dreht den Kopf zur Straße. Auch Diego hält den Atem an und horcht angestrengt in die gleiche Richtung. Und da hört auch er das Geräusch mehrerer hochtourig drehender Motoren. Obwohl die Lautstärke beständig zunimmt, erkennen sie nichts, bis sie die Wagen als dunkle Schatten um eine Kurve in ihr Sichtfeld biegen sehen. Sie sind vielleicht noch etwa hundert Meter entfernt und rasen mit unverminderter Geschwindigkeit über die staubige Piste. Vorbei an den in regungslose Starre verfallenen Wachmännern halten sie direkt auf sie zu.
Soviel zur Qualität der Mannschaft
, denkt Diego säuerlich, als er die Waffe in den Hosenbund schiebt und an Maria und Gonzales vorbei nach vorne tritt.
Dicht gedrängt rast die Kolonne den letzten Hügel hinauf, bis sich die sechs Fahrzeuge auf der breiten Auffahrt zu einem Halbkreis auffächern und am Fuße der Treppe zum Stehen kommen.
Diego geht den Ankömmlingen entgegen. Deutlich hört er dabei das Knistern der heiß gelaufenen Motoren der, mit Ausnahme eines beige-braun gefleckten Hummers, schwarz lackierten Geländewagen.
Als Erstes öffnet sich die Beifahrertür des Hummers, und ein junger Soldat in Tarnuniform springt heraus. Er kommt Diego entgegen und bleibt am Fuße der Treppe stehen, wo er mit ernstem Gesicht salutiert.
Diego winkt lächelnd ab und streckt die Hand aus. „Esteban Patilla, nehme ich an?“
Der Soldat nickt und schüttelt die dargebotene Hand mit festem Druck.
„Dann freue ich mich, Sie und ihre Männer bei den Locandos zu begrüßen! Ich bin Diego, und das“, er dreht sich um und deutet auf Maria, „ist meine Schwester Maria.“
Patilla deutet einen Gruß an, blickt dann wieder auf Diego.
„Einen Teil unserer Männer haben Sie bereits gesehen, falls Sie nicht zu schnell an den ihnen vorbeigefahren sind.“ Diego lächelt noch immer, jetzt aber mit ernster Miene.
„Ja, habe ich.“ Patilla zögert einen Moment, aber Diego nimmt ihm die Last der Wahrheit ab.
„Wir werden uns etwas Neues für die Männer überlegen müssen. Mit Sichel oder Melkeimer können sie hoffentlich besser umgehen als mit Gewehr und Pistole.“
Er schweigt einen Moment, mustert in der Zeit den jungen Lieutenant. Etwas kleiner als er, mit einer schmalen, drahtigen Figur, einem ovalen sonnengebräunten Gesicht und wachen dunklen Augen, die seinen Blick aufmerksam erwidern.
„Dann stellen Sie uns mal Ihre Mannschaft vor.“
„Sofort.“ Patilla dreht sich um und ruft den Soldaten einen knappen Befehl zu. Sie reagieren augenblicklich, und im Nu sind die vierundzwanzig Männer in ihren dunklen Uniformen und schussbereiten Waffen vor den Autos angetreten.
Anerkennend pfeift Diego durch die Zähne, während sich die drei unnützen Wachmänner vom Tor mit gesenkten Köpfen langsam der Versammlung nähern. Diego beschließt, sie zu ignorieren und sie der Gnade Marias zu überlassen. Er winkt Gonzales heran.
„Zeig ihnen ihre Quartiere“, sagt er, und zu Patilla gewandt fügt er hinzu: „Kommen Sie mit, einen Kaffee trinken. Oben besprechen wir alles weitere.“
Er legt Patilla die Hand auf den Rücken und steigt mit ihm die Treppen zum Haupthaus hinauf.
26. Kapitel
Claires Tag beginnt mit einem schlechten Gewissen. Nachdem sie den Wecker ausgestellt hat, wirft sie einen Blick auf ihr Handy. Doch anstatt verpasster Anrufe oder neuer SMS sorgt der prominent aufleuchtende Eintrag ihres Kalenders für einen gequälten Seufzer - Daves zweiundvierzigster Geburtstag. Die Erinnerung an ihn versetzt ihr einen Stich in die Brust. Und die Frage, wie sie ihren alten Freund nur so schnell hat vergessen können … Schuldbewusst fährt sie sich mit der Hand durch die Haare, während sie die Anzeige wegklickt. Sie lässt das Handy aufs Bett fallen und geht ins Bad, nimmt sich dabei vor, vom Büro aus der Sache mit der
Alina
noch einmal nachzugehen. Wenigstens das kann sie für Dave tun.
Doch vor der Arbeit trifft sie sich mit Noëlle zum Sparring. Ein paar sportbegeisterte Kollegen haben in einer der Baracken einen Boxring aufgebaut, in dem auch Claire von Zeit zu Zeit zwecks Abwechslung vom alltäglichen Laufpensum trainiert.
Die Runden mit ihrer Tischnachbarin verlaufen normalerweise relativ harmonisch, da beide mehr auf ihre Beinarbeit und Deckung als auf das Austeilen von Schlägen achten. Heute jedoch lassen der angestaute Frust über Daves Verschwinden und die
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