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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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ginge.
    »Schon besser«, sagte ich. »Ich
möchte gerne bald nach Hause.«
    »Oh. Ich würde Sie lieber noch einen
Tag hierbehalten. Nur so, um zu sehen, wie es sich entwickelt. Wenn Sie nichts
dagegen haben, würde ich jetzt gerne überprüfen, ob Ihr Sehvermögen in Ordnung
ist.«
    »Wieso? Schon wieder? Es hat gerade
jemand einen Sehtest mit mir gemacht. Ich konnte alle Buchstaben lesen.«
    »Wer war das? Ich bin heute Abend
der einzige Arzt auf dieser Station. Meinen Sie vielleicht eine Schwester?«
    »Drei Nager in dunklem
Manchesterhemd fressen delikat das Wensleydale-Fragment«, sagte ich stolz. »Ich
konnte alle Buchstaben lesen, sogar die ganz kleinen am unteren Rand der
Tafel.«
    »Was für eine Sehtafel meinen Sie?«
    »Haben Sie ihn nicht gesehen? Er
muss noch im Zimmer gewesen sein, als Sie eben hereinkamen.«
    Der junge Arzt fuhr sich mit der
Hand durchs Haar. »Tut mir leid, Mr Wilberforce, Sie müssen sich irren. Heute Abend
hat außer mir kein anderer Arzt Dienst auf dieser Station. Es war niemand im
Zimmer, als ich hereinkam; das wäre auch gar nicht möglich, denn die Station
kann nur betreten werden von Leuten, die den Zifferncode für die Tastatur an
der Stationstür kennen. Der Haupteingang ist immer verschlossen. Vielleicht
leiden Sie noch ein bisschen unter den Nachwirkungen der Gehirnerschütterung.
Darf ich mal eben mit meiner Taschenlampe Ihren Augenhintergrund ausleuchten?«
    Er sah mir in die Augen, gab dann
ein genervtes Geräusch von sich und verließ ohne jede Erklärung das Zimmer. Die
Zeit verstrich, und ich blieb im Bett liegen, zwischen Wachen und Schlaf. Mein
Kopf tat höllisch weh, anscheinend ließ die Wirkung der Schmerztabletten nach,
die man mir gegeben hatte. In unregelmäßigen Abständen wurde ich nachts von
einer Schwester geweckt, die einen Teewagen ins Zimmer schob und mir
Leckereien anbot, Spaghetti Hoops und Jam Sponge Pudding mit Vanillesoße.
Obwohl ich seit langem nichts gegessen hatte, konnte ich mich nicht dazu
überwinden und schickte sie weg. Wie lange hatte ich kein Glas Wein mehr
getrunken? Ich lag im Bett und versuchte alle Weine aufzuzählen, die in den
Bordeauxregionen Pessac-Leognan und Graves produziert werden. In der Dunkelheit
murmelte ich die Namen: »Haut-Brion. La Mission-Haut-Brion. Carbonnieux. Smith-Haut-Lafitte, Château
Chasse-de-Frites ... und ... Malartic-Lagraviere ... und ... und ... Haut-Brion - nein, den hatte ich schon ... und
natürlich Pape-Clement... und ...«
    Während ich noch angestrengt nach
weiteren Namen suchte, fing ich so heftig an zu schwitzen, dass mein Körper
ganz nass wurde, und meine Arme und Beine zitterten. In der Half Moon Street
hatte ich einen Château Carbonnieux getrunken. Half Moon Street! Da wohnte ich!
Die Hausnummer fiel mir momentan nicht ein, aber die Haustür war dunkelblau
gestrichen. Jetzt, wo mir wieder eingefallen war, wo ich wohnte, konnte ich
mich doch auch aus dem Krankenhaus entlassen und mit einem Taxi nach Hause fahren.
Etwas Kleingeld musste ich noch in der Tasche haben. Hatte ich ursprünglich
nicht vorgehabt einzukaufen?
    Ich drückte die Nachtglocke, und
nach kurzer Zeit steckte die Nachtschwester den Kopf durch die Tür und fragte:
»Alles in Ordnung? Kann ich Ihnen etwas bringen?«
    »Ich möchte nach Hause«, sagte ich.
    »Um vier Uhr in der Frühe? Das ist
keine gute Idee, Mr Wilberforce. Besser, Sie bleiben hier, bis der Arzt morgen
zur Visite kommt. Dann wissen wir vielleicht eher, was Ihnen fehlt.«
    »Ich weiß, was mir fehlt«, sagte
ich. »Ich habe meinen eigenen Arzt.«
    »Und wer ist das?«
    Ich versuchte, mich zu erinnern, und
dieses Mal fiel mir der Name ein: »Colin Holman - Dr. Colin Holman. Ich habe
einen Termin bei ihm. Welcher Tag ist heute?«
    »Montag. Sehr früher Montagmorgen.«
    »Dann muss ich nach Hause«, sagte
ich. »Der Termin ist heute im Laufe des Tages. Ich muss nach Hause. Es ist sehr
wichtig.«
    »Und was sagt Ihr Arzt, was Ihnen
fehlt?«, wollte die Nachtschwester wissen.
    »Er glaubt, ich würde sterben, weil
ich zu viel trinke«, sagte ich. »Obwohl ich ausschließlich Wein trinke, und
immer die gleiche Menge, Bordeauxweine, sehr gute Qualität. Ich trinke nie Hochprozentiges,
und ich trinke nie exzessiv.«
    Zwei Stunden später hatte ich sie
dazu gebracht, mir meine Kleider auszuhändigen; ich hatte mein Geld und meine
Wohnungsschlüssel gefunden, diverse Formulare unterschrieben, womit ich dem
Krankenhaus die Erlaubnis erteilte, mich zu entlassen, und

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