Bordeuax
auch mal mit Leuten
sprechen zu können, die etwas davon verstanden. Manchmal traf ich auf einen
Weinkellner, der meine fundierten Kenntnisse und meine Erfahrung zu würdigen
wusste, aber im Großen und Ganzen war Weintrinken für mich eine einsame
Beschäftigung. Schade, dass Colin sich nicht stärker für Wein interessierte.
Wenn ich ihm angeboten hätte, ihm meinen Wein zu hinterlassen, hätte er
vielleicht etwas mehr Begeisterung gezeigt. Was er wohl sagen würde, wenn ich
ihm mitteilte, dass ich ihn in meinem Testament bedenken wollte?
Bei dem Gedanken musste ich
schmunzeln. Ich sah auf die Uhr; das Schutzglas war verkratzt, aber sie
funktionierte immer noch. Colin würde bald hier sein.
Hatte es da nicht gerade an der
Haustür geklingelt? Ich ging hin, um ihn hereinzulassen. Es war niemand da. Ich
schob den Riegel vor, damit ich mich nicht wieder ausschloss, und trat auf die
Straße, um Ausschau nach Colin zu halten.
Der Abend war feucht vom Regen, und
die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos spiegelten sich auf dem nassen
Asphalt. Ich war gerade mit der Avianca-Maschine aus Medellin auf dem Flughafen
El Dorado in Bogota gelandet.
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Ich war gerade erst mit der
Avianca-Maschine aus Medellin auf dem Flughafen El Dorado in Bogota gelandet.
Ich hatte mir ein Taxi in die Stadt genommen und den Fahrer gebeten, mich zum
Hotel Bogota Plaza zu bringen. Unterwegs entschied ich spontan, nicht direkt
bis vor das Hotel zu fahren. Stattdessen bat ich den Fahrer, mich an der großen
Toyota-Niederlassung an der Avenida 100 Ecke Calle 27 abzusetzen. Ich bezahlte
und holte mein Gepäck vom Rücksitz. Die Luft war feucht und dünn, und es fiel
leichter Sprühregen. Ich blieb kurz am Straßenrand stehen, aber es hielt sonst
kein anderes Taxi in der näheren Umgebung an. Ich glaube, die Person, die mich
verfolgte, benutzte keine Taxis.
Während ich die Calle 27
entlangging, auf die Querstraße zu, die zum Hintereingang des Hotels führte,
fiel mir eine flackernde Neonreklame ins Auge, bei der sich Tausende
Miniglühbirnchen ein- und ausschalten und so wechselnde Farben und Muster
entstehen. Man sah einen kleinen indianischen Jungen, der eine hell leuchtende
Coca-Cola-Flasche an den Mund setzte, gefolgt von dem über den Schirm
gleitenden Slogan »Disfrute
Coca-Cola«.
Dann verschwand das Bild und
Buchstaben wanderten unablässig von links nach rechts: DNIDMFDDWF ... DNIDMFDDWF ... DNIDMFDDWF ... Ich blieb stehen - das Gepäck in der Hand, der
feine warme Nieselregen, der mein Gesicht wie mit Tränen befeuchtete - und ich
starrte auf die Zeichen und versuchte, mich daran zu erinnern, was sie
bedeuteten.
Dann musste ich innerlich lachen. DNIDMFDDWF ... Drei Nager in dunklem Manchesterhemd
fressen delikat das Wensleydale-Fragment... Das war es! Das war die Gedächtnishilfe, die mir nicht
hatte einfallen wollen. Ich weiß noch, dass mich jemand mit einer heiseren
Stimme bat, sie ihm vorzulesen.
DNIDMFDDWF ... Die Nacht, in der
meine Frau durch die Windschutzscheibe flog ...
Großartig! Ich konnte mich an alles
erinnern. Der warme Regen lief mir die Wangen hinunter, und ich genoss den
salzigen Geschmack. Die Nacht, in der meine Frau durch die Windschutzscheibe
flog. Die Nacht, in der Catherine bei dem Autounfall starb. Ich wollte
vergessen, ich wollte die Erinnerung für immer begraben, und deswegen hatte ich
sie mit einer Gedächtnisstütze versehen und sie irgendwo in einem
Hinterstübchen meines Gehirns gespeichert. Man ist ja so dankbar, wenn das
Gedächtnis, hat die Erinnerung an bestimmte Lebensphasen erst mal Rost
angesetzt, durch irgendein geheimnisvolles Schmiermittel wieder funktioniert.
Die Nacht, in der Catherine starb:
Jetzt, am Straßenrand der Calle 27, in der City von Bogota, erinnerte ich mich
genau. Ich erinnerte mich an das rotierende Blaulicht, an das Krächzen der
Funkgeräte der Polizei und der Notärzte, an den Lärm des Rettungshubschraubers,
der auf dem Rasen neben der Straße aufsetzte, bevor er seinen nutzlosen Flug
startete, mit Catherine an Bord, die schon im Sterben lag oder bereits tot war.
Ich erinnerte mich an die Bahre, auf der ich lag, an den Polizisten, der mich
wachrüttelte, an seine Fragen. In der Nacht hatte es auch geregnet, so wie
heute, auf der anderen Seite des Erdballs. Angeschlagen und erschüttert, aber
scheinbar unverletzt, sah ich dabei zu, wie Catherine auf einer Bahre in den
Hubschrauber gehoben wurde, und dachte: »Gott sei Dank war ich es nicht.«
Mein rechter
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