Bordeuax
konnte. Der Lebensgrundlage, die mir die Gruft bot,
beraubt, verspürte ich eine nervöse Unruhe. Es war mir nicht möglich, mich auf
irgendetwas zu konzentrieren. Ich konnte ja kaum der Tatsache ins Auge
blicken, dass ich der Beerdigung meiner eigenen Frau beiwohnte.
Wenn ein Mensch abberufen wird, der
über sechzig ist, wie es bei Francis ein Jahr zuvor der Fall war, herrscht das
Gefühl vor - jedenfalls war es so auf seiner Beerdigung -, dass der
Verstorbene, so frühzeitig sein Tod auch gewesen sein mag, das Leben wahrscheinlich
in vollen Zügen genossen hat. Auf Francis' Beerdigung sangen die Trauergäste
die Kirchenlieder mit Inbrunst, weil sie ihrem Freund den schönsten Abschied
bereiten wollten. Nach dem Trauergottesdienst hatten alle noch
zusammengestanden und sich Anekdoten über Francis und seine Weinsammlung erzählt,
liebevolle Erinnerungen an ihn ausgetauscht. Diesmal war es völlig anders.
Über Catherines Trauerfeier lag eine Trostlosigkeit, die durch nichts zu
überbieten war. Tatsache war, sie war knapp über fünfundzwanzig, und sie war
tot. Catherine war mir genommen worden, bevor wir überhaupt eine Chance hatten,
unser gemeinsames Leben zu leben. Ich war bedrückt und zornig. Es war so
ungerecht.
Es wurde gebetet und gesungen, aber
es waren nicht genug Leute in der Kirche, um dem Gesang die richtige Fülle zu geben.
Die Worte der Liturgie, die Musik, die Lieder, alles hörte sich matt in meinen
Ohren an. Selbst die Luft in der Kirche war dünn und verbraucht, dämpfte jedes
Geräusch. Dann war die Trauerfeier vorbei, und die Träger brachten den Sarg
nach draußen. Wir trotteten hinterher, zum Grab. Die Leute hielten Abstand zu
mir, niemand redete mit mir, niemand sah mich an.
Es war ein kalter Dezembertag, aus
einem grauen Himmel ging feiner Nieselregen herab. Die Trauergäste standen
neben dem Grab, während der Priester die letzten Worte sprach, und anders als
bei Francis' Beerdigung blieb diesmal anschließend keiner mehr da, um sich mit
anderen zu unterhalten und in Erinnerungen an Catherine zu schwelgen. Alle
flohen förmlich von dem Friedhof, sobald sie konnten. Niemand blieb stehen, um
wenigstens zum Schluss ein Wort an mich zu richten. Es war, als wäre ich
unsichtbar.
Gerade wollte ich losgehen, auf die
andere Seite der Kirche, wo ein Taxi für mich stand, als Ed Hartlepool auf mich
zukam. Er trug einen schwarzen Mantel über einem dunklen Nadelstreifenanzug,
weißes Hemd, schwarze Krawatte. Sein Gesicht war so blass wie sein Hemd, die
Augen rot unterlaufen. Der blonde Haarschopf, wie immer ungebärdig, sah aus,
als wäre der Blitz eingeschlagen. Auf seinen Wangen zeigten sich Spuren
getrockneter Tränen. Ich hatte ihn gesehen, als ich die Kirche betrat, aber er
hatte nur kurz aufgeblickt, nicht mit mir gesprochen. Jetzt schlenderte er auf
mich zu und starrte mir direkt ins Gesicht. Seine Augen funkelten, sein sonst
offenes, freundliches Gesicht sah ausgemergelt und gealtert aus. »Du hast sie
getötet, Wilberforce«, fing er an. »Ich weiß, dass die Polizei nichts machen
kann, aber Catherine wäre niemals einfach so von der Straße abgekommen. Ich
weiß nicht, was du getan hast, aber du hast sie getötet.«
Verdutzt sah ich ihn an. »Das ist
unfair, Ed. Catherine saß am Steuer. Es war nicht meine Schuld.«
Ed bebte vor Wut, und vor Trauer.
»Dein Glück, dass du an Krücken gehst«, sagte er. Dann machte er auf dem
Absatz kehrt.
Der Pfarrer kam mit besorgter Miene
zu mir und fragte mich, wie es mir ginge. Ich dankte ihm, und er sagte: »Mein
Beleid, Mr Wilberforce. Ein schwerer Verlust. Sie war ein ganz besonderer
Mensch.«
Ich schaffte es mit meinen Krücken
um die Kirche herum auf die andere Seite, auf den Weg, der zu der Straße
führte, wo mein Taxi wartete. Die Plenders hatten verlauten lassen, dass sie
sich nicht dazu imstande sähen, Trauergäste bei sich zu Hause zu empfangen. Es
gab keinen Leichenschmaus, kein geselliges Beisammensein, nichts. Catherine war
bei einem Autounfall getötet worden, sie war unter der Erde, und jetzt fuhr
jeder für sich nach Hause. Als ich mein Taxi endlich erreicht hatte, sah ich
die Plenders noch an ihrem Auto stehen, und als sie mich entdeckten, kam Helen
Plender zu mir. Endlich, dachte ich, endlich würde sie etwas zu mir sagen oder
irgendwie unseren gemeinsamen Kummer würdigen.
Sie stand vor mir, ihr Gesicht
älter, als ich es in Erinnerung hatte, verbittert, vogelartig. »Mr
Wilberforce?«, sagte sie.
»Mrs Plender«, sagte
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