Bordeuax
ich, »ich bin
froh, dass Sie mir Gelegenheit geben, Ihnen zu sagen, wie aufrichtig leid es
mir tut...«
Sie schnitt mir das Wort ab. »Ich
bin nicht zu Ihnen gekommen, um mir anzuhören, wie leid es Ihnen tut. Sie
können sagen, was Sie wollen, es wird meine Meinung über Sie nicht im
Geringsten ändern. Ich wollte Sie fragen, ob Sie wohl so freundlich wären, mir
den Schmuck meiner Tochter zukommen zu lassen, so bald wie möglich. Es sind
wertvolle Familienerbstücke, und sie sollten umgehend zurückgegeben werden.«
Sie drehte sich um und ging zurück zum Wagen.
Ich verlor die Beherrschung. Ich
rief hinter ihr her: »Es war Ihre Schuld, Mrs Plender. Wenn Sie sich nicht mit
Catherine gestritten hätten, wäre sie niemals auf den Gedanken gekommen, sofort
nach London zurückzufahren. Dann wäre das alles nicht passiert. Es war Ihre
Schuld, nicht meine!«
Die aufrechte schwarzumhüllte
Gestalt hielt an und zitterte für einen Moment, doch Helen Plender drehte sich
nicht um noch antwortete sie.
Dann stand plötzlich der Pfarrer
neben mir, legte einen Arm um meine Schultern, als ich anfing, auf den Krücken
schwingend, hinter Catherines Mutter herzulaufen. »Bitte, Mr Wilberforce. Vergessen
Sie nicht, wo Sie sich befinden. Und was wir gerade getan haben. Wir müssen die
Toten respektieren, und ihre lebenden Angehörigen. Kommen Sie, ich bringe Sie
zu Ihrem Taxi.«
Ich ließ mich von ihm zu dem Auto
geleiten und mir beim Einsteigen helfen. »Danke, Herr Pfarrer«, sagte ich. Ich
wusste nicht, was ich sonst noch hätte sagen sollen. »Danke für Ihren schönen
Gottesdienst.«
Das Taxi brachte mich zurück nach
Caerlyon.
Nach der Beerdigung blieb ich noch
ein paar Tage auf Caerlyon, bis ich mich wieder einigermaßen reisefähig fühlte.
Dann fuhr ich mit dem Zug nach London. Als ich unsere Wohnung in der Half Moon
Street betrat, holte mich endgültig die Trauer über den Verlust ein. Ich weiß
auch nicht, wieso, aber ich drehte den Schlüssel im Riegelschloss herum,
stellte das Gepäck im Flur ab, und ich war davon überzeugt, gleich Catherines
Stimme von oben zu hören: »Bist du's, Darling? Wo in aller Welt warst du bloß?«
Und ich würde erwidern: »Was heißt hier, wo in aller Welt warst du bloß?
Könnte ich auch fragen: Wo in aller Welt warst du bloß?«
Catherine war nicht mehr auf dieser
Welt, ihre Überreste waren noch da, aber sie selbst war von dieser Welt
gegangen. Ich stand im Flur, und mir schien, die Sinne durch den Kummer
geschärft, als könnte ich ihr Parfüm in der Luft riechen, als könnte ich das Rascheln
hören, das ihre letzte Bewegung vor zwei Wochen begleitet hatte, als sie beim
Packen ihrer Sachen für die Fahrt nach Caerlyon in der Wohnung hin und her
gelaufen war. In Wahrheit war es totenstill in der Wohnung. Es war niemand da
außer mir. Ich ging in die Küche und blieb dort lange sitzen, lauschte dem
Tropfen des Wasserhahns. Er musste getropft haben, seit Catherine und ich
weggefahren waren. Ich hatte nicht die Kraft, aufzustehen und den Hahn
zuzudrehen. Wenn ich wenigstens hätte weinen können, aber aus irgendeinem Grund
blieben meine Augen trocken. Es wollten keine Tränen fließen.
Ich ging zum Weinregal neben dem
Ausguss, holte eine Flasche Bordeaux heraus und las ohne viel Interesse das
Etikett. Es war ein 86er Château Sociando-Mallet, der lange genug gelagert
hatte, um ihn jetzt zu trinken. Ich machte die Flasche auf, nahm ein Glas aus
dem Küchenschrank und polierte es. Dann stellte ich das Glas auf den Tisch,
setzte mich hin und wartete, damit der Wein Zeit hatte zu atmen. In einem Ton,
der Catherines sehr nahe kam, sagte ich: »Bin ich dafür gestorben? Hat sich
durch meinen Tod also nichts verändert? Hängst du gleich wieder an der
Flasche?«
Ich sah das Glas an und die Flasche
und rührte mich nicht. Der Tag schleppte sich dahin, aber ich griff nicht mehr
nach der Flasehe, und ich stand auch nicht von meinem Stuhl auf. Ich sah die
Flasche nur an, fragte mich, wie der Wein wohl schmeckte, fragte mich, ob ich
nicht wenigstens einen kleinen Schluck ins Glas gießen sollte, es schwenken
sollte, damit sich der Duft entfalten konnte. Aber ich rührte mich nicht.
Um fünf Uhr ging ich zum Telefon und
rief meinen Freund und Arzt Colin Holman an. Es dauerte eine ganze Weile, bis
ich zu ihm durchgestellt werden konnte, aber ich wartete so lange, bis er das
Gespräch mit einem Patienten beendet hatte. Als er schließlich an den Apparat
kam, klang seine Stimme freundlich,
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