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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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führte heute kein angenehmeres
Leben als früher, bevor ich den Wein für mich entdeckt hatte; eigentlich war
alles nur schlimmer geworden, unermesslich schlimmer. Der Laden von Caerlyon
Hall war wie die Entdeckung einer neuen Welt, als ich ihn zum ersten Mal
betrat. Ich entdeckte die Freundschaft. Ich entdeckte eine Zufriedenheit, wie
ich sie vorher nie gekannt hatte. Ich entdeckte, dass ich einen Menschen lieben
konnte, als ich Catherine kennenlernte. Und ich entdeckte den Wein für mich,
als ich Francis kennenlernte. Der Wein brachte mir Freuden anderer Art. Der
geheime Garten, in den ich an jenem Abend vor langer Zeit eingetreten war, bot
mir eine Frucht, die sich am Ende zu Asche in meinem Mund verwandelte. Der Wein
entführte mich in sein eigenes Labyrinth an Erfahrungen, ein Labyrinth, in dem
man sich auf ewig drehen und wenden konnte, in dem man vergessen konnte, wo der
Eingang war und wie man wieder hinausfand. Hätte es keine Freundschaft und
Liebe gegeben, die beiden Dinge, die ich gewann, hätte ich niemals den Verlust
erfahren müssen, den ich jetzt schmerzlich spürte.
    Ich legte die Unterarme auf die
Tischplatte, bettete meinen Kopf darauf und schloss die Augen. Ich wünschte,
ich wäre taub, als Erics nasale Stimme triumphierend verkündete: »Jetzt kommen
wir endlich weiter. Jetzt machen wir Fortschritte.«
     
    Drei Wochen später ging das Programm
in der Hermitage zu Ende. Eric hatte für mich ein Abschlussgespräch mit Angela
angesetzt.
    »Ich selbst bin zu dicht dran«,
erklärte er mir. »Wir beide haben Höhen und Tiefen durchgemacht, aber wir haben
als Team zusammengearbeitet, deswegen fühle ich mich dir ziemlich nahe. Ich
finde, du bist wirklich ein toller Mensch, Will - es war nur ein bisschen
persönliche Entwicklung erforderlich. Du hast jetzt das Zeug, um wieder nach
draußen in die Welt entlassen zu werden und ein reiches und erfülltes Leben zu
führen.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Enttäusch mich nicht, Will. Und
wenn du jetzt gehst, dann wirf nicht einfach über den Haufen, was wir uns beide
hier hart erkämpft haben. Im Dickicht lauern Dämonen, Will, die dir zuraunen
und die dich verlocken wollen, von dem rechten und schmalen Weg, den du gehen musst,
abzuweichen. Hier, nimm diesen Prospekt. Ich weiß, dass du nicht an Gott
glaubst, aber Er glaubt an dich, und Er kann dir helfen. Hier steht alles drin.
Ich empfehle dir besonders Seite neun.«
    »Danke, Eric«, sagte ich. Ich nahm
den Prospekt, ohne ihn mir anzusehen.
    »Lass dich umarmen«, sagte er, und
ehe ich ausweichen konnte, schlang er seine Arme um mich und drückte mich fest
an sich. Er roch leicht nach Schweiß und Desinfektionsmittel.
    »Danke, Eric«, sagte ich noch mal.
    »Gott behüte dich«, sagte Eric
schluchzend. Er wandte sich ab, und ich verließ den Raum.
    Das Abschlussgespräch mit Angela
verlief etwas anders. Angela war eine große, kühle, ernste Frau mit kurzem,
strohblondem Haar, einem entschlossenen Zug um den Mund und straffem Kinn. Als
ich sie für unser letztes Treffen aufsuchte, sagte sie: »Wilberforce. Komm
rein und setz dich. Wie geht es dir heute, nachdem du einige Zeit hier bei uns
verbracht hast?«
    »Viel besser«, sagte ich.
    »Ich bin unschlüssig, was deinen
Fall betrifft, Wilberforce«, sagte sie. »Eric hat dir ein exzellentes Zeugnis
ausgestellt. Er sagt, ihr beide hättet euch sehr gut vertragen. Aber Eric
arbeitet viel mit emotionaler Intelligenz. Er ist sehr engagiert. Das macht ihn
zu einem guten Sozialarbeiter, nicht?«
    »Ja, sehr«, bestätigte ich.
    »Ich dagegen bin eher eine
Beobachterin«, sagte Angela. »Und an dir habe ich eine große Fähigkeit
beobachtet: deine Gefühle zu verbergen. Eigentlich weiß ich bei dir nie, woran
ich bin. Ich bin mir unklar darüber, inwieweit du das, was wir hier machen,
ernst nimmst. Ich habe den Eindruck, dass du an einem Abgrund entlanggehst, in
den du jederzeit hinunterstürzen kannst. Ich weiß nicht, ob du alles verstanden
oder akzeptiert hast, was wir dir gesagt und was wir dir hier aufgezeigt
haben. Was meinst du?«
    »Ich finde, dass es mir gutgetan
hat«, sagte ich gedehnt. »Jedenfalls möchte ich im Augenblick keinen Wein
trinken.«
    »Halt daran fest«, riet mir Angela.
»Ich glaube, dass wir gemeinsam etwas erreicht haben. Aber ich bevorzuge klare
Resultate bei meinen Patienten, und bei dir liegt die Sache nicht klar. Ich
glaube, dass du Fortschritte gemacht hast, das ja, aber ich weiß nicht, ob du
dein Verhalten gänzlich ändern

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