Bordeuax
»findest du nicht auch? Wenn ich nur
ein paar Wochen ohne was zu trinken auskomme, dann geht es mir auch wieder gut.
Eigentlich bin ich kein Alkoholiker, aber es war richtig, dass du mich immer
wieder gewarnt hast. Das sehe ich jetzt ein.« Ich stand vor dem Schreibtisch,
und ich bildete mir ein, dass es in dem kleinen Wohnzimmer ganz leicht nach
Chanel No. 5 duftete, dem Parfüm, das Catherine gerne trug. Ich hatte das
Gefühl, als wäre sie bei mir. »In ein, spätestens zwei Monaten«, sagte ich,
»habe ich Arbeit als freier Softwareentwickler. Lieber nicht allzu ehrgeizig sein
am Anfang. Ich will mich nur wieder daran gewöhnen, regelmäßig zu arbeiten und
meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, statt von meinem Vermögen zu leben.
Später kann ich immer noch eine eigene neue Firma aufmachen.«
Catherine nickte. Wenn sie doch nur
etwas gesagt hätte. Aber auch wenn sie schwieg, schien sie doch ganz zufrieden
mit mir zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass unser Leben wieder harmonisch
verlief, so wie in der ersten Zeit unserer Ehe. Es war wirklich ein Jammer,
dass sie nicht mehr lebte.
An dem Abend ging ich früh zu Bett.
Zuerst wirkte noch der innere Frieden nach, der mich überkommen hatte, während
ich mit Catherine sprach und durch die Wohnung spazierte, am Rand meines
Blickfeldes überall ihre Gegenwart spürte, im Nacken einen leichten Luftzug,
wie die Berührung durch kalte Finger. Dann setzte Unruhe in mir ein. Ich fing
an, mein eigenes Verhalten zu beobachten, und eine Zeit lang, während ich so
im Dunkeln lag, dachte ich, dass ich den Verstand verlieren würde. War das
normal? Ging jeder, der seine Frau verloren hatte, in der Gegend herum und unterhielt
sich mir ihr?
Schließlich fiel ich doch in einen
nervösen Schlaf, hatte lebhafte, seltsame Träume. Ich roch etwas Verdorbenes,
und im Augenwinkel erkannte ich vage einen vertrauten Umriss. Ich war in einer
fremden Stadt, in einem Land, das ich nicht kannte. Ich ging eine Straße
entlang, und jemand oder etwas folgte mir, das mich nicht einholen sollte.
Am nächsten Morgen ging ich nach
unten und sah, dass jemand etwas auf den Notizblock auf dem Schreibtisch
geschrieben hatte: DNIDMFDDWF. Die Buchstaben
waren nicht in meiner üblichen Handschrift, sie waren regelrecht eingekerbt in
das Papier, mit ungeheurer Kraft auf die Schreibfläche aus Holz darunter
durchgedrückt worden. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich sie
geschrieben hatte, ich wusste auch nicht, was sie bedeuteten. Ich setzte mich
hin und sah mir die Buchstabenfolge lange an. Vielleicht sollte ich sie mir
merken, dachte ich, für den Fall, dass sie mir später an anderer Stelle wieder
begegnete, für den Fall, dass sie eine Bedeutung hatte, die mir im Moment
entfallen war. Ich überlegte mir eine Gedächtnisstütze, was gar nicht so
einfach war, aber dann fiel mir eine ein: Drei Nager in dunklem Manchesterhemd fressen delikat
das Wensleydale-Fragment.
Danach ging ich in die Küche und
packte Catherines Schmuck wieder aus, den ich in Krepppapier eingewickelt
hatte, bevor ich ihn den Eltern schicken wollte. Ich breitete die Stücke auf
dem Tisch aus: Ein Paar Saphir-Diamant-Ohrringe mit einer passenden dreifachen
Saphir-Diamant-Halskette, die Steine tiefblau; ein schweres Goldarmband und ein
dazu passender Siegelring; ein dreifaches Perlenhalsband, mehrere Diamantringe,
eine Smaragd-Diamant-Kette und einige weniger wertvolle Stücke.
Bei den meisten konnte ich mich
daran erinnern, wann sie sie getragen hatte; bei der Saphir-Diamant-Halskette
sogar an jeden einzelnen Anlass; es war nicht oft, denn es war ein sehr großes,
kostbares Schmuckstück. Ich würde die Sachen erst in ein, zwei Tagen auf die
Post bringen, überlegte ich, damit ich Gelegenheit hatte, sie mir noch mal
genauer anzusehen. Für mich waren es Erinnerungsstücke, und wenn sie erst mal
aus dem Haus waren, würde Catherines Geist, in meinen Gedanken sonst stets
gegenwärtig, immer flüchtiger und weniger greifbar. Ich war noch nicht bereit,
sie ganz verloren zu geben. Ich raffte den Schmuck zusammen und wickelte jedes
einzelne Stück wieder in sein Blatt Krepppapier ein, brachte sie zu meinem
Schreibtisch und schloss alles in eine Schublade ein.
Am nächsten Tag kam ein Antwortbrief
von einer der Softwarefirmen, die ich angeschrieben hatte. Er enthielt
überschwängliches Lob für die Programme, die ich für meine alte Firma
entwickelt hatte; sobald sich etwas Interessantes ergäbe, hieß es weiter,
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