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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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ich.
    Nach dem Frühstück fand in einem
großen Besprechungszimmer eine Gruppensitzung statt. Eric und noch eine andere
Sozialarbeiterin, die Angela hieß, leiteten die Sitzung. Die Teilnehmer saßen
in einem Halbkreis auf Stühlen um den Tisch herum, an dem die beiden Leiter
schon Platz genommen hatten. Angela ergriff als Erste das Wort. »Es ist
wichtig, dass jeder auf diesen Sitzungen zuhört und jeder mal drankommt. Sag
die Wahrheit, wenn du etwas über dich erzählst, und mach dich darauf gefasst,
dass andere dir die Wahrheit über dich ins Gesicht sagen. Eric wird uns bei der
Sitzung heute Morgen unterstützen.«
    Eric stand auf, in der Hand eine
Dose Diet Coke. »Also, Leute, ich möchte euch gerne Will vorstellen. Will wird
uns gleich selbst sagen, warum er hier ist, und dann hoffe ich, dass einige von
euch ihm von ihren eigenen Erfahrungen erzählen. Will soll wissen, dass er
nicht alleine dasteht. Er soll sehen, dass ihr alle mit euch gerungen habt,
dass ihr gestrauchelt seid, aber dass ihr den ersten Schritt geschafft habt,
dass ihr den nächsten gegangen seid, und dann wieder den nächsten, auf dem
langen Weg der Genesung. Was ist, Will, möchtest du uns gerne etwas über dich
erzählen?«
    Ich nickte, und alle sahen mich
erwartungsvoll an. Es herrschte Schweigen.
    »Ach so«, sagte ich. »Soll ich jetzt
was sagen?«
    »Ja bitte, Will«, sagte Angela. »Wir
möchten Anteil nehmen an deinen Problemen, damit wir gemeinsam mit dir eine
gute Lösung erarbeiten können.«
    »Amen!«, sagte Mick.
    »Na ja«, fing ich an. »Eigentlich
gibt es nicht viel zu erzählen. Ich trinke Wein. Ich liebe Wein. Ich sammle ihn
sogar. Es interessiert mich sehr.«
    Ich hörte auf zu reden. Eric sah
mich aufmunternd an und gab mir das Stichwort: »Und dann eines Tages ...?«
    »Ach so, ja. Und dann habe ich aus
verschiedenen Gründen beschlossen, hierherzukommen, weil ich wahrscheinlich
etwas mehr getrunken habe, als ich vertrage.«
    »Bevor er sich hier angemeldet hat,
war Will bei vier Flaschen Wein pro Tag angelangt«, sagte Eric mit
theatralischer Betonung auf der Zahl Vier.
    »Der Herr beschütze dich!«, sagte
Big Mick.
    »Vielen Dank«, sagte ich.
»Jedenfalls wurde eines Tages meine Frau bei einem Autounfall getötet. Da habe
ich mir gedacht, dass ich mein Leben in den Griff bekommen muss, und bin zu
einem Freund gegangen, der ist Arzt, ein netter Kerl, Colin heißt er, wir waren
zusammen auf der Universität. Und Colin meinte, ich würde wahrscheinlich zu
viel trinken, und ich meinte, na gut, was kann man da machen? Er sagte ...«
    »Langsam, langsam, Will«, ermahnte
mich Angela.
    »Wie schrecklich«, sagte Wilhelmina.
»Deine arme Frau wurde getötet.«
    »Hast du am Steuer gesessen?«,
fragte Dave.
    »Nein, meine Frau ist gefahren. Es
war ein Unfall.« Ich war ganz erschöpft vom vielen Reden über mich vor diesen
völlig fremden Leuten.
    Big Mick sagte: »Ich habe Crack
geraucht. Ich war vom Teufel besessen und habe meine Partnerin geschlagen, bis
sie mich schließlich verlassen hat. Dann sprach Gott der Herr zu mir, ich
sollte mich hier anmelden. Und jetzt bin ich geheilt. Lobet den Herrn!«
    »Beinahe geheilt, Mick«, korrigierte
Angela.
    Wilhelmina hatte jetzt auch etwas
beizutragen. »Ich war auf einer Party, und da überkam es mich irgendwie. Ich
habe Wein getrunken, und dann habe ich einen Mann geküsst, und wir sind
weggegangen, und er hat mir, ach, er hat so Sachen mit mir gemacht, und wegen
dem Wein habe ich ihn gelassen. Ich bin eine arme Sünderin, ohne Hoffnung, und
alles nur, weil ich zu viel Wein getrunken habe.«
    »Du hast dir einfach nur einen
netten Abend gemacht«, sagte Dave. »Das muss dich doch nicht so fertigmachen.«
    Mit weiteren persönlichen
Erinnerungen dieser Art ging der Vormittag vorüber, dann war Mittagspause. Ich
setzte mich neben Big Mick, der anscheinend Gefallen an mir gefunden hatte.
    »Er ist kein schlechter Kerl, unser
Eric«, steckte mir Big Mick im Vertrauen. Wir aßen Pasta und Salat. Eric saß an
einem anderen Tisch und unterhielt sich lebhaft mit Angela.
    »Nein«, sagte ich. »Er hat das Herz
auf dem rechten Fleck.«
    »Ja, und er war ein Schnapsbruder
vor dem Herrn, früher mal«, sagte Big Mick. »Es braucht nicht viel, und der
gute Eric würde wieder an der Whiskyflasche hängen - verstehst du, was ich
meine? Was hast du eigentlich früher so gemacht, draußen?«
    »Ich war Softwareentwickler. Bis vor
kurzem hatte ich sogar meine eigene

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