Bordeuax
Leben darf nichts Unerwartetes bringen.«
Ich stierte vor mich hin, unfähig zu
sprechen.
»Wenn mich Ed noch mal fragt, sage
ich ja. Ich hätte schon beim ersten Mal ja gesagt, bloß ... Ich musste zuerst
mit dir darüber reden.«
Sie war zum Ende gekommen, und wir
blieben auf der Bank sitzen. Vom Fluss stieg Kälte auf und ließ mich frösteln.
Dann, im Dunst, erblickte ich, dass sich flussabwärts etwas bewegte, näher kam,
gleichzeitig hörte ich eine Schiffssirene. Wir erhoben uns beide. Langsam, wie
ein urzeitliches Ungetüm, durch die Nebelschleier und Nebelfetzen hindurch,
kam eine gewaltige Gestalt auf uns zu. Vier Seile, zwei vorne, zwei hinten,
hatten das Gebilde im Schlepptau. Das ununterbrochene Tuten der Sirene
erinnerte an das Trauergeheul eines riesigen Raubtiers, das durch einen Urwald
aus Lastkränen pirschte, für eine Sekunde schemenhaft vor einem perlweißen
Himmel in seinen Umrissen erkennbar, doch von erneut aufziehendem Dunst gleich
wieder verschluckt. Beim Heranrücken, aus Angst, das Ungeheuer könnte uns
angreifen, packte Catherine meinen rechten Arm, aber das Gebilde war nur eine
Ölplattform - ein Gewirr aus verschiedenen Ebenen, Decks, Hubschrauberlandeflächen,
höher als ein zehnstöckiges Haus, größer als jedes Gebäude, auf vier
gigantischen Säulen ruhend, mit Bohrausrüstungen, die über mehrere Decks
reichten, in den Nebel hinein, das sich langsam auf die Flussmündung
zubewegte.
»Mein Gott«, sagte Catherine.
Ich legte meinen Arm um ihre
Schulter, und sie lehnte sich erlöst an mich. So standen wir eine lange Zeit,
sahen zu, wie das riesenhafte Skelett zwischen den Kaimauern hindurch aufs
offene Meer trieb, und das Merkwürdige des Augenblicks ließ uns für kurze Zeit
alles, was zuvor gesagt worden war, vergessen.
Am gleichen Abend fuhr ich nach
Caerlyon, um Francis die Nachricht zu überbringen. Das Licht in seinem Laden
brannte nicht, und die Tür war verschlossen. Ich überquerte den gepflasterten
Innenhof und probierte die Tür zu Francis' Privaträumen, sie war unverschlossen.
In der Wohnung war alles sauber, ordentlich und asketisch, nur wenig
Dekoration, kaum Bilder. Auf einem Tisch stand eines der wenigen Fotos, die
Francis besaß, ein Bild von ihm, die Arme um Ed und Catherine gelegt. Ich hatte
es gemacht, an dem Tag, als wir in Eds Moor in Blubberwick auf Moorhuhnjagd gegangen
waren.
»Francis?«, rief ich.
Keine Antwort. Ich ging zur Treppe,
rief nach oben und bildete mir ein, eine schwache Antwort zu hören. Ich rannte
die Stufen hinauf und klopfte an einer verschlossenen Tür, hinter der ich Francis'
Schlafzimmer vermutete. Ich war vorher noch nie in der ersten Etage gewesen.
»Komm rein, mein Lieber«, hörte ich
Francis' Stimme. Sie klang heiser und erschöpft. Sein Cockerspaniel Campbell
hatte es sich neben ihm auf der Bettdecke bequem gemacht. Das Schlafzimmer war
so ordentlich und unpersönlich wie die Zimmer unten im Erdgeschoss. Francis'
ganzes Leben spielte sich nebenan ab, in der Gruft.
»Geht es dir einigermaßen gut?«,
fragte ich. »Kann ich dir etwas bringen?«
»Ich mache nur ein Nickerchen«,
sagte Francis. Seine Haut sah gelblich aus, sein Gesicht todmüde. »Ich komme in
zwanzig Minuten runter. Geh und hol eine Flasche aus dem Keller. Es ist die
einzige Nahrung, die ich noch vertrage, also such etwas aus, das mich nicht
enttäuscht. Bring die Flasche rauf in den Laden und mach sie auf. Ich komme
gleich zu dir.«
»Wo sind die Schlüssel?«
»Sie liegen auf dem Küchentisch,
soweit ich mich erinnere.«
Ich ging nach unten, fand die
Schlüssel und schloss den Laden auf. Es gab keine Alarmanlage, und wenn man
erst mal im Laden war, kam man überall hin, denn die Tür zur Treppe, die
hinunter in die Gruft führte, war nie zugeschlossen. Im Schloss der Tür steckte
ein großer Eisenschlüssel, der fest eingerostet war, unmöglich, ihn zu bewegen
oder gar herumzudrehen. Wenn der Weinkeller mir gehörte, überlegte ich, würde
ich als Erstes eine sehr gute Alarmanlage einbauen, Videoüberwachung, direkte
Telefonleitung zur Polizei, allen Schnickschnack. Stahltür und Chubb-Schlösser
an der Tür zur Treppe wären auch nicht schlecht. Wie hoch war die Feuergefahr
einzuschätzen? Eine Sprinkleranlage musste installiert werden, und auch ein
richtiges Gerät zur Klimaregelung.
Dann fiel mir ein, dass ich ja
eigentlich hergekommen war, um Francis zu sagen, dass ich mir Caerlyon und
seinen Wein doch nicht leisten konnte. Noch wusste ich
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