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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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Keller?«
    Ich zögerte. Ich hatte auf einmal
die Vision, dass er ins Auto springen und nach Caerlyon fahren würde, in die
Gruft stürmen und das Lager mit einem Vorschlaghammer zerkleinern würde, nur um
mir eine Lektion zu erteilen. Mir schauderte bei der Vorstellung.
    Andy bemerkte mein Zögern und mein
Schaudern.
    »Du verstehst einfach nicht, was
Freundschaft bedeutet, Wilberforce«, sagte er. »Ich vertraue dir, aber du
musst mir nicht vertrauen. Funktioniert es so bei dir? Funktioniert so dein
Verstand? Ich arbeite zwölf Stunden für dich, ich habe praktisch kein
Privatleben, während du jeden Abend um sechs Uhr losziehst und mit deinem
Weinhändler einen hebst. Toll. Weißt du was, Wilberforce? Als man dich
zusammengebaut hat, hat man irgendein Teil vergessen. Ich weiß nicht genau,
welches Teil, aber irgendwas fehlt. Du bist nicht normal. Das hätte ich merken
müssen.«
    Ich sagte nichts. Das Beste war, ihn
reden zu lassen.
    »Du willst mir nicht mal sagen, von
wem du den Wein kaufst oder wo du ihn aufbewahrst. Hast du Angst, ich würde ein
paar Flaschen klauen?« Er stand auf und ließ seine Serviette fallen. »Mir ist
der Appetit vergangen. Ich habe keine Lust, meine Zeit mit dir zu vergeuden.
Die Rechnung übernimmst du. Leisten kannst du es dir ja.«
    »Du hast dein Chicken Balti ja noch
gar nicht angerührt«, sagte ich.
    Andy sah mich nicht mal mehr an,
ging einfach hinaus. Ich blieb noch etwas sitzen, stocherte in meinem Essen
herum, aber es hatte wenig Sinn, noch hierzubleiben.
    Andy und ich haben nach diesem Abend
kaum mehr miteinander gesprochen.
    Der zweite Grund, warum es ein
Fehler war, Andy ins Al Diwan einzuladen: Das Lokal erinnerte mich an
Catherine. Das letzte Mal war ich mit ihr zusammen hier gewesen. Es war schon
einige Wochen her, aber die Zeit, die große Heilerin, heilte meine Wunden
nicht. Nachts wachte ich von dem ungeheuren Gedanken auf, dass Catherine jemand
anderem versprochen war. Die Vorstellung überwältigte mich, ich konnte sie
nicht ertragen. Eigentlich hätte ich Catherine anrufen sollen oder ihr auf
irgendeinem anderen Weg mitteilen, was ich empfand, um sie vielleicht doch noch
dazu zu bewegen, ihre Meinung zu ändern.
    Ich unternahm nichts. Nacht für
Nacht wachte ich auf und dachte an sie. In der Dunkelheit saß ich auf meinem
Bett, voller Sehnsucht, tat aber nichts.
     
    Ein paar Tage später fuhr ich wieder
raus zu Francis. Ich war in letzter Zeit etwas nachlässiger mit den Besuchen
geworden, zum einen wegen der Arbeitsbelastung, zum anderen, weil wir nicht
mehr zusammen in die Gruft hinabsteigen konnten. Francis verbrachte jetzt die
meiste Zeit im Bett und nahm, unter den wachsamen Augen einer Krankenschwester
aus dem Hospiz, viel Morphium. Häufig war er nicht mehr bei klarem Verstand.
Kleine Fehler schlichen sich ein, wenn er über Weine und Weinsorten sprach, er
verwechselte einzelne Châteaus und Jahrgänge miteinander, was für mich, der
ich aus früheren Zeiten sein brillantes Gedächtnis kannte, sehr unbefriedigend
war.
    Vielleicht konnte er mir sowieso
nicht mehr viel beibringen. Er fing an, die gleichen Geschichten zwei-, dreimal
zu wiederholen. Er sprach über seinen Großvater, er sprach über seine Mutter,
und er erzählte Geschichten über sie in einer Mischung aus Bedauern und Stolz.
Beim zweiten Mal waren sie nicht mehr so interessant, beim dritten Mal
langweilig. Viel hatte er sonst nicht mehr zu sagen. Wie manche seiner alten
Weinflaschen drohte er zu kippen. Bald wäre er ungenießbar.
    Mir blieb auch nicht mehr viel zu
sagen. Was soll man einem Sterbenden, den man eigentlich sowieso nicht
besonders gut kennt, auch schon sagen.
    Trotzdem raffte ich mich manchmal
doch noch zu einem Besuch auf. Ich wollte nicht, dass Francis glaubte, ich
könnte ihn nicht mehr ertragen. Auch wollte ich nicht riskieren, dass er
plötzlich noch auf die Idee kam, die Klauseln seines Testaments zu ändern und
mir den Wein doch nicht zu überlassen. Ich glaube nicht, dass er das gemacht
hätte, aber man weiß ja nie.
    Als ich ankam, fiel mir als Erstes
auf, dass Campbell nicht mehr da war. »Wo ist Campbell?«, fragte ich. Francis,
blass und ausgemergelt, lag im Bett. Unter der Bettdecke erschien er mir dünn
wie ein Blatt Papier, als wäre alles unterhalb des Halses verfault. Vielleicht
war es so.
    »Ich musste ihn weggeben, den alten
Knaben. Ich kann mich nicht mehr um ihn kümmern, und die Schwester will nicht.
Teddy Shildon hat ihn zu sich genommen, Gott sei

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