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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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Unterlagen und Dokumente
hin- und hergeschoben wurden, wie bei einem überdimensionalen Patiencespiel.
Hin und wieder wurden Andy und ich gebeten, etwas zu unterschreiben. Wir saßen
schweigend nebeneinander, tranken abwechselnd Kaffee und Wasser, und der Tag
nahm seinen Lauf. Gelegentlich stand Andy auf, lief durch den Raum, hinüber zu
den Amerikanern, und führte vertrauliche Gespräche. Sie hatten ihn gebeten,
nach dem Verkauf noch in der Firma zu bleiben, als Geschäftsführer. Ich sollte
noch ein Jahr als »Berater« tätig sein, aber ich hatte das Gefühl, dass sich
neben Andy kein Platz mehr für ein eigenes Büro finden würde. Die Leute redeten
mit gedämpften Stimmen, riefen zwischendurch bei irgendwelchen Banken an, um
nachzufragen, ob bestimmte Summen von einem Konto abgebucht seien und auf
einem anderen Konto eingegangen. Um vier Uhr war die Sache perfekt. Kurzer
Beifall von den Anwälten, der Vertreter von Bayleaf kam auf mich zu, schüttelte
mir die Hand und sagte, er sei sehr zufrieden, jemand schoss währenddessen ein
Foto.
    Dann kam Andy und sagte forsch:
»Also, Wilberforce, jetzt kannst du dir endlich deinen Wein kaufen. Ich bringe
Chuck noch zum Flughafen. Wir sehen uns morgen zur Übergabe. Bitte sei um neun
Uhr in meinem Büro.«
    Danach gingen alle auseinander, und
nach einigen abschließenden Worten meines Anwalts trat ich nach draußen auf
die Straße.
    Zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren
hatte ich keine Verpflichtungen. Endlich war ich frei, ich konnte tun und
lassen, was ich wollte. Ich hatte das Gefühl, als läge vor mir eine riesige
Leere. Diese Leere erschreckte mich plötzlich. Vielleicht hatte ich noch
fünfzig Jahre zu leben, und in der ganzen Zeit hätte ich absolut nichts zu tun.
Ich hatte kein anderes Leben, außer dem, was mich in Caerlyon erwartete. Ich
spielte weder Fußball noch Kricket, ich baute keine Modellflugzeuge oder
sammelte Briefmarken. Ich hatte außerhalb der Arbeit keine Freunde, abgesehen von
dem Caerlyon-Freundeskreis. Und seit meinem Streit mit Andy hatte ich den Eindruck,
dass ich auch bei der Arbeit keine Freunde mehr hatte. Jedenfalls war ich mir
sicher, dass meine Tage im Büro gezählt waren. Was sollte ich bloß mit mir
anfangen?
    Ich besuchte meine Pflegemutter.
     
    Sie wohnte immer noch in dem Haus,
das ich meinem Pflegevater und ihr vor fünf Jahren gekauft hatte. Es war ein
schicker kleiner Bungalow, inmitten eines einen halben Hektar großen Gartens,
mit Veranda und einem Teich. Mein Pflegevater war vor einem Jahr gestorben.
Ich glaube, ihm war nie wohl bei dem Gedanken, dass er in einem Haus lebte, das
ich bezahlt hatte, aber es war ihm nichts anderes übrig geblieben: Meine Mutter
hätte ihn wahrscheinlich verlassen, wenn er das Geschenk nicht angenommen
hätte. Ich fuhr mit der U-Bahn aus dem Stadtzentrum heraus und ging die letzten
paar Hundert Meter zu Fuß. Dass meine Mutter nicht zu Hause sein könnte, war
nicht zu befürchten. Sie ging so gut wie nie aus. Soweit ich weiß, beschränkte
sich auch der Kontakt zu ihren Nachbarn nur auf Nickbekanntschaften, mehr
nicht. Sie war furchtbar schüchtern. Sie saß den ganzen Tag im Wohnzimmer, sah
fern oder las historische Romane. Einmal die Woche besuchte sie eine Buchclub-Matinee,
wo sie, wie ich mir vorstellte, stumm auf ihrem Stuhl hockte, von den anderen
Frauen viel zu eingeschüchtert, um den Mund aufzukriegen. Die Jahre ihrer Ehe
mit meinem Pflegevater, der nicht den geringsten Zweifel an seiner Intelligenz
zuließ und an jeder zweiten Äußerung seiner Frau etwas auszusetzen fand, hatten
von ihrem Selbstvertrauen wenig übrig gelassen. Seine scharfe Zunge hatte auch
auf mich ihre Wirkung nicht verfehlt.
    Ich drückte die Haustürklingel, es
läutete, und sofort öffnete Mary die Tür und sah mit ängstlichem Misstrauen
hinaus. Dann hellte sich ihre Miene auf.
    »Ach, du bist es, Frankie!«
    »Mary.«
    Wir umarmten uns, dann sagte sie
vorwurfsvoll: »Ein halbes Jahr hast du dich nicht blicken lassen. Du
undankbarer Junge.« Sie führte mich ins Wohnzimmer und bot mir einen Platz auf
dem scheußlichen orangeroten Sofa an, das ich ihnen geschenkt hatte. Dann ging
sie in die Küche, um Tee zu kochen. Ich wollte gar keinen Tee. Ich hatte schon
den ganzen Tag über Tee, Kaffee und Wasser getrunken, bis es mir aus den Ohren
herauskam. Aber es war nicht zu ändern, ich musste eine Tasse Tee mit ihr
trinken, also ließ ich sie gewähren.
    »Ich weiß, Mary«, sagte ich. »Tut
mir leid. Aber ich hatte

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